20. Februar 2012 Lesezeit: ~8 Minuten

Die Fotos der anderen

Meine Runde durch’s Internet beginnt und ich sehe mit heruntergeklappter Kinnlade ein grandioses Landschafsfoto auf der Startseite der Fotocommunity. Einige Minuten später entdecke ich ein bis auf’s kleinste Detail und bis zur Perfektion bearbeitetes Fashion-Foto auf Flickr, dann weckt auf 500px ein HDR-Bild meine Aufmerksamkeit und erntet meine Bewunderung.

Und ja – da war gestern auch noch das gestochen scharfe Makro, das mich mehrere Minuten lang fasziniert hat, das unglaubliche Levitationsbild, das mit viel Kreativität, gehobenen Photoshop-Kenntnissen und außergewöhnlichen Requisiten umgesetzt wurde. Nicht zu vergessen das Architekturfoto, das mich so begeistert hat, dass es sofort in meinem Favoritenordner gelandet ist.

Und was habe ich zu bieten? Meine Fotos kommen mir angesichts dieser riesengroßen Flut an kreativen, technisch perfekt umgesetzten, penibel bearbeiteten, wunderbar gefühlvollen, interessanten und in meinen Augen einfach perfekten Fotos banal vor. Langweilig. Technisch mangelhaft, unkreativ. Alles andere als abwechslungsreich. Einfach nur mittelmäßig. Wie kann ich bloß meine Arbeiten verbessern und vorantreiben?

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Sollte ich mir ein Makro-Objektiv zulegen? Jedes Mal, wenn ich gestochen scharfe Bilder von Schmetterlingen im Morgentau sehe, wünsche ich mir, das auch zu können. Die Ausrüstung zu haben; die Stellen zu kennen, an denen man solch faszinierende Bilder machen kann.

Vielleicht wäre es aber auch hilfreicher, sich erst einmal um ein passendes Weitwinkel-Objektiv zu kümmern oder gleich ein Tilt-Shift-Objektiv zu kaufen, um endlich einen Schritt in der Architektur-Fotografie weiter zu kommen. Mit meinen alten Fotos, die ich vor langer Zeit mal mehr schlecht als recht gemacht und bearbeitet habe, kann ich doch einpacken!

Seit einer gefühlten Ewigkeit möchte ich mich auch gern einmal an einem HDR-Bild versuchen. Eine geeignete Software wäre wohl auch eine Anschaffung wert. Wie lange es wohl dauern würde, das Programm zu beherrschen und zufriedenstellende Ergebnisse zu erzielen? Nein, vielleicht lasse ich das doch lieber bleiben; an das, was ich da in diversen Communities sehe, komme ich doch sowieso niemals heran.

Und meine Portraits? Die müssen besser werden, außergewöhnlicher. Ich sollte mir mehr Photoshop-Kenntnisse aneignen, um besser bearbeiten zu können! Und vor allem: Bei Shootings sollte ich kreativer sein und nicht immer nur dasselbe machen, immer und immer wieder. Vielleicht wäre ein Workshop die Lösung! Alleine und ohne Hilfe komme ich wohl niemals auf das Niveau der Fotos, die ich tagtäglich im Internet so bewundere.

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Das Betrachten toller, außergewöhnlicher Bilder fasziniert mich, es inspiriert mich und spornt mich an. Es fordert mich heraus, gibt mir neue Impulse und lässt mich oft eine halbe Ewigkeit am Computer verweilen. Ich lasse mich davon aber auch manchmal unter Druck setzen. Möchte schneller lernen, besser retuschieren können, mehr ausprobieren. Vor allem, weil mich so viele Bereiche und Themen ansprechen und anziehen. Weil mir so viele Stile gefallen.

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Im Gespräch mit anderen Fotografen habe ich erfahren, dass es nicht nur mir so geht und dass nicht nur in meinem Kopf die oben (überspitzt) beschriebenen Gedanken kreisen. Wenn das Herz an etwas hängt und wenn man dazu das, was man tut, mit Perfektion umsetzen möchte, gerät man wohl immer wieder in Phasen, in denen man unzufrieden ist mit dem, was man erschafft. Phasen, in denen man keinerlei Fortschritt sieht und vielleicht sogar glaubt, einen Rückschritt zu machen.

In genau diesen Phasen wird man dann als Fotograf oder noch allgemeiner gesagt als Künstler von den oben genannten Gedanken überfallen, man dreht sich im Kreis. Man glaubt vielleicht auch einige Zeit, dass man sich für immer und ewig in diesem kreativen Loch befindet und so heftig strampeln kann, wie man möchte, am Ende trotz aller Anstrengungen aber doch nicht heraus kommt.

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Die Zeit hat mich jedoch gelehrt, dass jede Phase, in der man am liebsten alles hinschmeißen möchte, endet. Ein Patentrezept gibt es zwar nicht und es fällt schwer, den Druck, den man sich manchmal macht, abzulegen.

Ein Schlüssel zur Lösung des Problems besteht aber sicher darin, Geduld zu haben. Geduld mit sich selbst. Eine große Portion. Sich Zeit und Raum zum Experimentieren zu lassen und weniger erfolgreiche Tage und Shootings zu akzeptieren, denn – auch das habe ich von anderen Künstlern gelernt – diese schlechten Tage hat jeder. Ebenso aber auch ausgedehnte Phasen, in denen man viel länger auf der Stelle tritt als einem selbst lieb ist. Und sich stattdessen doch so gerne weiter entwickeln möchte!

Besonders hilfreich in diesen ’schlechten‘ Phasen waren für mich Shootings, Fototouren und auch Photoshop-Sessions mit anderen Fotografen, weil sich hierbei ganz neue Herangehensweisen und Blickwinkel auftun können. Weil man eingetretene Pfade verlässt und angeregt wird, eigene und fremde Methoden zu vermischen und zu neuen Ergebissen zu kommen. Das motiviert auf’s Neue.

Die Kamera in eine Ecke zu schmeißen und vor lauter Frust ewig nicht anzurühren erhöht, zumindest in meinem Fall, den Druck vor dem nächsten Shooting und die Angst, wieder ‚zu scheitern‘. Sicher tut eine Pause ab und an gut, in der man seine Gedanken auf völlig andere Dinge lenkt und vielleicht auf eine Art und Weise kreativ wird, die mit Fotografie nichts zu tun hat. Weiter entwickeln kann man sich jedoch nicht, ohne zu üben.

Es gehört Mut dazu, in diesen Phasen die Kamera eben doch wieder in die Hand zu nehmen. Projekte anzugehen, von denen man denkt, dass sie eine Nummer zu groß sind, besonders wenn man gerade an sich zweifelt. Aber man kann nur wachsen, kann sich nur weiter entwickeln und von der Stelle kommen, wenn man die Herausforderung annimmt. Neugierig, experimentierend, auch das temporäre ‚Scheitern‘ akzeptierend.

Denn selbst wenn man das gewünschte Ergebnis nicht erzielt – mit jedem Shooting lernt man! Mit jeder Stunde Retusche in Photoshop geht man einen Schritt weiter. Auch wenn man das im Augenblick der vermeintlichen Scheiterns, des auf der Stelle Tretens nicht realisiert.

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Und der folgende Punkt ist vielleicht der wichtigste, um mit sich und seinem eigenen fotografischen Werdegang wieder ins Reine zu kommen: Man sollte nie vergessen, dass die Weiten des Internets mit ihren unzähligen Communities für Fotografie wohl wie das Schaufenster einer übergroßen Pralinenmanufaktur sind. Man steht vor der Scheibe, betrachtet die feinen Kreationen, die einem das Wasser im Munde zusammen laufen lassen.

Bewundert. Schaut hier und da. Entdeckt immer wieder Neues, Faszinierendes. Und möchte natürlich probieren und am liebsten das Rezept erfahren. Damit man das, was man da sieht, auch kreieren kann. Möchte sich neue Zutaten in Form einer besseren Kamera oder eines neuen Objektivs kaufen.

Dabei sind diese Pralinen, die man nach und nach in einer Pralinenschachtel namens ‚Favoritenordner‘ sammelt, das Beste vom Besten. Und sie stammen nicht von einer einzigen Person, sondern sind eine Sammlung der besten Arbeiten verschiedenster Fotografen.

Alle Rezepte zu kennen und dann auch noch umsetzen zu können, würde dem Beherrschen von einem Dutzend Sprachen gleich kommen. Und ein Dutzend Sprachen zu beherrschen ist ein bisschen zu viel verlangt, nicht wahr?

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Ich selbst vergesse das oft genug. Drehe mich im Kreis. Möchte viel Gutes auf einmal produzieren, eine ganze Pralinenpackung voll. Und muss mich daran erinnern, dass es auch ausreicht, eine einzige feine Kreation zu erschaffen, bevor ich irgendwann die nächste in Angriff nehme. Rom wurde schließlich auch nicht an einem einzigen Tag erbaut.

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