20. November 2010 Lesezeit: ~6 Minuten

Postmortemfotografie

Seit meiner Jugend trage ich eine Spiegelreflexkamera mit mir herum. Später als Freiland-Biologe war ich dann berufsbedingt meistens Draußen unterwegs, natürlich auch mit der Kamera. Seit 1999 bin ich mit meinen biologischen und fotografischen Arbeiten selbständig. Zu den fotografischen Themen gehörten bisher die Pflanzen-, Tier- und Landschaftsdarstellungen, die mittlerweile in einer Reihe von Ausstellungen und in Publikationen eingeflossen sind. In diesem Bereich arbeite ich mit einer kleinen Bildagentur in Bonn zusammen und bin Mitglied der Freien Künstler in Münster, die mindestens zweimal im Jahr Gruppenausstellungen durchführen.

Dieses Thema hätte ich wahrscheinlich auch weiter so verfolgt, wenn meine Frau nicht 2007 an Krebs erkrankt und 2009 gestorben wäre. Ich hatte sie die ganze Zeit zu Hause pflegen können und auch immer wieder fotografiert. Eines meiner vier kleinen Kinder fotografierte dann seine Mutter auf dem Totenbett. Ich selber war überhaupt nicht auf die Idee gekommen, obwohl ich sie noch am Vormittag ihres Todestages fotografiert hatte. Mein Sohn, damals sechs Jahre alt, wollte sich eine Erinnerung schaffen, da doch seine Mutter gleich weg sei!

Durch dieses Erlebnis wurde meine fotografische Arbeit auf ein völlig neues Feld gelenkt – die Postmortem-, Kranken- und Behindertenfotografie. Gerade die Postmortemfotografie hat in diesem Zusammenhang eine alte Tradition, die hier in Deutschland leider in weiten Teilen verloren gegangen ist und häufig zum Tabubereich gerechnet wird. In anderen Kulturen hingegen, auch in unseren Nachbarländern, ist die Fotografie von Verstorbenen üblicher. Dennoch sind hier zu Lande immer wieder, in kleinen Auflagen, sehenswerte Bücher zu diesem Thema zu finden.

Ein Erlebnis aus Münster zeigte mir, wie sensibel dieses Thema anzugehen ist. Die Westfälischen Nachrichten hatten über meine Arbeit berichtet. Der Artikel stand also auf der Internetseite des Verlages und konnte dort kommentiert werden. Eine Frau berichtete davon, dass sie ihren Vater vor vielen Jahren heimlich fotografiert hatte als dieser verstorben war, aber lange Zeit ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie nicht wusste, ob dies pietätlos sei. Mit dem Artikel war nun für sie dieser Gedanke widerlegt, so dass sie nun freier damit umgehen konnte.

Ein Grenzbereich

Die Fotografie von Verstorbenen ist für viele Menschen ein Grenzbereich. Einerseits möchten viele etwas in den Händen halten, andererseits wissen sie nicht ob dies „Rechtens“ ist, wieder andere möchten sich an den Verstorbenen lieber lebend erinnern, merken aber mit der Zeit, dass die Erinnerungen verblassen. Der Wert dieses besonderen Bildes ergibt sich also erst nachdem der Verstorbene beerdigt worden ist. Nur dann ist es für eine Korrektur der Entscheidung zu spät.

Bei meiner Fotografie geht es darum, Erinnerungen zu schaffen und vor allem Menschen zu fotografieren, die sich keine Maske aufsetzen können. Sie können sich kaum oder gar nicht mehr darstellen oder inszenieren, wie es „gesunde“ Menschen häufig tun. Sei es der kranke Mensch an Apparaten, der behinderte Mensch, der permanente Assistenz benötigt oder der Verstorbene ohne Einfluss auf seine menschliche Hülle. Zu dieser Art der Fotografie gehören auch die letzten Wege dieser Menschen, beispielsweise im Hospiz oder auf dem Friedhof.

Das bedeutet für mich, als Fremder, dass ich in einen Bereich eintrete, in dem der Mensch verletzbar ist und nur sehr sensibel und zurückhaltend fotografiert werden darf. Das wirkt sich auch auf die eingesetzte Technik aus, die minimalistisch ist. Die Bilder, die dabei entstehen, sind nur in Ausnahmefällen und auf besonderen Wunsch für die Öffentlichkeit bestimmt. Vielmehr dienen sie den Angehörigen oder den kranken Personen als Erinnerung für eine Zeit, in der sie durch ein Tal gegangen sind.

Einfühlungsvermögen

Der Kontakt für die Postmortemfotografie findet meistens über den Bestatter statt. Diese unterbreiten den Hinterbliebenen den Vorschlag eines Bildes. Der Bestatter richtet den Leichnam dann her, wobei es wichtig ist, einen sensiblen Bestatter zu haben, der dementsprechend mit der Leiche umgeht. Die Bilder werden auf Wunsch bei den Angehörigen, beim Bestatter oder in der Leichenhalle aufgenommen. Gerade im Umgang mit den Angehörigen ist dann viel Einfühlungsvermögen notwendig, da diese unter starkem Stress stehen.

Ein weiterer Weg für Aufträge ergibt sich über meine Vorträge, die ich zu diesem Thema halte. Hierdurch versuche ich die Menschen zu sensibilisieren.

Behinderte Menschen

Bei den behinderten Menschen kommt noch ein zusätzlicher Aspekt hinzu: Behinderte Menschen werden in der Öffentlichkeit als wenig attraktiv empfunden. Dies nagt am Selbstwertgefühl dieser Menschen. Ich fotografiere sie also im Umfeld, in ihrem Lebensbereich, damit sie die Möglichkeit haben, sich eigene Werte zu schaffen, aber auch der Öffentlichkeit zu zeigen, welche Attraktivität in ihnen steckt.

Meine Art der Fotografie habe ich mir in der Natur angeeignet. Das bedeutet, ich dirigiere nicht, nehme soweit es geht keinen Einfluss auf Situationen und bin lediglich anwesend, verhalte mich passiv und beobachte. Ähnlich wie in der Natur, wo ich auch warten muss, bis ein bestimmtes Motiv auftaucht oder die Tiere das tun, was ich gerne fotografieren würde. Einfluss habe ich auch dort meist nicht oder doch nur eingeschränkt.

Und letztlich übt genau dieser Aspekt den Reiz auf mich und meine Arbeit mit den Menschen aus. Ich weiß vorher nicht, was ich nachher im „Kasten“ haben werde.

Es muss aber so sein, dass ich den Fotografierten oder deren Angehörigen damit eine Freude mache.

Ähnliche Artikel