29. September 2015 Lesezeit: ~8 Minuten

Drei Fragen an Rahel Krabichler

Rahel Krabichler lebt und arbeitet als Portrait- und Reportagefotografin in Bern. Ihre Bilder fielen mir schon vor längerer Zeit auf. Familienbilder in schwarzweiß, die mich in ihrer Intensität an Sally Mann erinnerten und doch ein bisschen anders sind.

Vor allem aber die Bilder ihres Sohnes hinterließen einen Nachhall. Ich wollte mehr über sie und ihre Arbeiten erfahren und habe ihr drei Fragen gestellt.

Erzähl mir ein bisschen was über Dich: Wie bist Du zur Fotografie gekommen bzw. seit wann fotografierst Du und welchen Stellenwert hat die Fotografie heute für Dich?

Ich besaß erst an der Kunstgewerbeschule (gestalterischer Vorkurs und Grafikdesign) eine billige Analogkamera. Und, um ehrlich zu sein: Ich war nicht besonders gut darin. Obwohl ich das Fach und vor allem die Dunkelheit des Labors mochte.

Nach der Ausbildung arbeitete ich als Grafikerin, künstlerische Leiterin und Konzepterin in Werbeagenturen. Ich stand also eher hinter den Fotografen, die meine Ideen ausgeführt haben. Irgendwann habe ich das Handbuch der Digitalkamera lesen müssen, weil niemand sonst die Entwurfsbilder machen wollte und entdeckte, dass mir dieses Werkzeug liegt, weil es sehr direkt ist. Ich hatte nicht vor, Fotografin zu werden, hatte gerade berufsbegleitend eine therapeutische Ausbildung abgeschlossen und ging davon aus, da Fuß zu fassen.

Eine alte Frau mit blonden Haaren

Ein Kind und Schattenaeste

Etwas spät wurde mir klar, dass ich keine Therapeutin oder Weltretterin bin. Man bezahlte mich plötzlich für Fotos, die ich mit der Agenturkamera gemacht hatte: Pferde, Babys, Portraits. Irgendwann war mir klar, dass ich mich jetzt entscheiden muss. Also bin ich ins kalte Wasser gesprungen und habe nach der Geburt meines Kindes die Agenturen und Privataufträge hinter mir gelassen und angefangen, direkt für Kunden Bildideen zu erstellen, Reportagen zu planen und zu fotografieren.

Parallel dazu fing ich an, in freien Arbeiten meine eigene Sprache jenseits der Vorgaben anderer zu suchen. Mein anfängliches Techtelmechtel mit der Straßenfotografie war vielversprechend, aber es war anstrengend, Zeit zu finden, in der ich ohne Kind und Zeitdruck arbeiten konnte. Meine Versuche, Dinge explizit zu inszenieren, scheiterten daran, dass die Bilder zwar gut waren, aber immer zuviel Abstand blieb. Ein kleines Gefühl der Fremdheit.

Eine Decke und eine Hand, die sie berührt.

Ein Mann mit grauen Haaren hält den Daumen nach oben.

Fotografie ist für mich ein Mittel zum Zweck. Wenn ich das Verfahren „brain to print“ hätte, würde ich das vorziehen. Ich bin kein Techniker, kein Handwerker, kein Kamerafetischist. Was mir wichtig ist, ist Ausdruck. Fotografie ist das verfügbarste und genaueste Medium im Moment. Es erlaubt, die äußere und innere Welt zu vereinen. Also nutze ich soviel Technik wie nötig, um möglichst genau an das heranzukommen, was ich kommunizieren will.

Am einfachsten und verfügbarsten ist in meiner Situation die Fotografie auf digitaler Basis. Die mir nicht so willkommene kühle Härte der digitalen Daten kann ich über gezielte Bearbeitung anpassen. Ich bin da pragmatisch.

In Deiner abgeschlossenen Serie „Snugo“ portraitiertest Du Deinen Sohn ein Jahr lang und beschränktest Dich dabei auf Euer Badezimmer. Es ist eine sehr persönliche Serie. War es schwer, diese zu veröffentlichen und hast Du Deinen Sohn in den Prozess der Bildauswahl mit einbezogen?

„Snugo“ war nicht einfach. Ich habe sehr lange hin und her editiert und mit mir gerungen, wie viel und was ich da von mir und ihm preisgebe: Muss ich die Serie durch leichtere Bilder erträglicher machen?

Ein Junge reibt sich die Augen in der Badewanne.

Der Körper eines jungen Menschen frontal

Es gab Tage, an denen ich gar nicht verstand, was an den Bildern so heikel ist. Und Stunden später stand ich fassungslos davor und wusste nicht, wie ich den Mut finden sollte, das so zu zeigen. Am Ende der Tage habe ich gemerkt, dass mein Ja zu all dem in den Bildern sehr fest geworden ist. Welchen Zweck sollte es auch haben, Bilder zu machen, die nicht radikal persönlich und mutig sind?

Was ich nicht wusste, war, wie sie verstanden werden. Dieses Risiko wollte und musste ich eingehen. Auch das Risiko, dass mein Sohn das später nicht mehr so völlig entspannt sieht wie jetzt. Aber dieses Risiko geht man jeden Tag ein, wenn man ein Kind hat. Mit jeder kleinen Entscheidung. 

Ein Mensch hinter einem Vorhang

Ein Junge liegt in der Badewanne und schaut in die Kamera.

Ich nehme mein Kind als sehr selbstbewusst und selbstverständlich wahr und vertraue darauf, dass er damit klar kommen wird. Bis jetzt ist er stolz darauf und findet es wohl gut, dass ich mal nicht (doof!) schwarzweiß fotografiert habe. Er war nicht an der finalen Bearbeitung beteiligt, hatte aber vorher Gelegenheit, mitzureden und gegebenenfalls sein Veto einzulegen. Die Titel der einzelnen Bilder sind von ihm.

Eine weitere Serie, in der Fragmente Deines Familienalltags auftauchen, kann man auf Deinem Flickr-Profil verfolgen. Sie erinnert mich in Ansätzen an die Arbeiten von Sally Mann und Alain Laboile. Hatte einer der Fotografen Einfluss auf dieses Projekt?

Meine Serie „ongoing“, in der ich meine engsten Verbindungen sichtbar mache, ist in der Tat, ähnlich wie bei Sally Mann, aus der Entscheidung entstanden, das zu fotografieren, was mir am nächsten ist. Sally Mann hat mich in dem Punkt auf jeden Fall beeinflusst.

Nicht so sehr im Inhalt – ich lebe ganz anders, alleinstehend in einer kleinen Wohnung mit meinem Sohn. Keine paradiesische Idylle. Keine Geschwister, kein Partner, keine ewigen heißen Sommer. Sie die große Technikerin, ich zufrieden mit irgendeinem tauglichen Werkzeug.

Eine alte Frau steigt in die Badewanne.

Ein Junge springt in ein Feld.

Inspiriert hat mich einerseits die Idee, wirklich ganz bei mir zu bleiben und nicht zu versuchen, meine Bilder weit weg an exotischen Orten oder möglichst spektakuläre Inhalte zu finden. Und sicherlich auch Sally Manns Art, nichts auszuklammern.

Ihre Bilder haben oft einen atemlosen, erschreckenden Moment in all ihrer Schönheit. Auch da sehe ich Parallelen. Ich arbeite je länger je inklusiver, versuche, die Balance zu finden zwischen Ordnung und Chaos, Schönheit und Störung. Je länger ich daran arbeite, desto genauer werde ich. Die Bilder, die auf den meisten Beifall stoßen, sind oft die, die mich kalt lassen und bald langweilen. Ich sortiere sie aus und verdichte fortlaufend. Was am Ende entsteht, bleibt dadurch offen. 

Alain Laboile ist ebenfalls ein Fotograf, der mit seinem nächsten Umfeld arbeitet. Ihn habe ich allerdings erst recht spät entdeckt. Ich sehe Parallelen, aber auch große Unterschiede. Meine Familie ist das Gegenteil: Winzig. Einzelne Menschen mit einzelnen Fäden untereinander. Die Hälfte verstorben, gegangen, abgeschnitten. Die anderen sehr innig persönlich verbunden, aber mit viel Leerraum dazwischen und fast ohne Querverbindungen. Meine Bilder und Spiegel erzählen etwas anderes, auch wenn der Stil vielleicht Ähnlichkeiten aufweist. 

Eine Hand streckt sich aus.

Ein Junge schaut Dich an.

Sehr beeinflusst haben mich Fotografen, die vordergründig nicht so ähnliche Arbeiten haben. Sebastião Salgado: Völlig anderes Gebiet, aber in seiner Art zu sehen, zu suchen, zu lieben, finde ich mich sehr wieder. Er ist der Meister der Balance, kann Unerträgliches erträglich machen, ist kompromisslos mit jeder Faser dabei.

Diane Arbus, die sich selbst messerscharf zeigt, im Fremden. Nan Goldin, ebenfalls ganz nah, fotografische Rohkost. Vieles von Magnum und auch Etliches von unbekannteren Fotografen; Reportagen, Portraits.

Ein Frauenkörper, nackt.

Eine Hand hält eine andere Hand.

Aber ich habe mich anfangs im Bereich der Fotografie gar nicht so breit umgeschaut. Stilistisch war ich über die Grafik schon vorbelastet. Und inhaltlich kam vieles von allein aus mir. Irgendwann hatte ich dann Nachholbedarf, habe mich hungrig umgesehen und mich mehr mit Fotografie befasst. Angefangen auch, zu unterrichten und dabei zu lernen, den Austausch zu suchen.

Zwischendurch merke ich dann wieder, wie wichtig der Abstand ist. Wieder unterzutauchen, keine Vergleiche mehr zu machen, nicht zu sehen, was und wie andere arbeiten, damit die eigene Quelle nicht verloren geht. Es ist besser für mich, mehr Inspiration bei mir und meinem alltäglichen Umfeld, aber auch in Musik, Literatur und Kunst zu finden.

Durch eine Scheibe fotografiert.

Eine Frau und ein Junge berühren sich an der Nase.

Die große Welt der Fotografie und Technik kann auch Ablenkung und verwässernde Unterhaltung sein. Schwierig, im digital vernetzten Zeitalter nicht die berühmte Buslinie zu verlieren. Zufrieden bin ich sowieso nie. Damit zu leben, scheint mir aber möglich. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Mehr von Rahel Krabichler kannst Du in ihrem Flickr-Stream finden oder ihr auf Facebook folgen.

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