Eisberge
15. April 2015 Lesezeit: ~7 Minuten

Fernab der Hektik – Fotografien aus Grönland

Ich liebe den Norden und seine unaufdringliche, kühle und ruhige Art. Grund genug für meine Schwester, mir einen Bildband über Spitzbergen zu schenken. Fantastische Impressionen von Kargheit und Kälte erzeugen bei mir sofort ein Gefühl von Fernweh, doch verhindert die allgegenwärtige Präsenz von Eisbären auf der Insel eine ernsthafte Reiseplanung. Schnell ist ein Ziel gefunden, das einen ähnlichen Reiz wie Spitzbergen auf mich ausübt: Grönland.

Nach vergleichsweise kurzer, aber intensiver Vorbereitung finde ich mich im Sommer in Kangerlussuaq wieder, einem kleinen Örtchen, dessen alleiniger Existenzgrund der einzige internationale Flughafen Grönlands ist. Kangerlussuaq befindet sich am Rand des grönländischen Inlandeises und verfügt über keinerlei Straßenverbindung zu anderen Siedlungen.

Allgemein ist die Asphaltdichte in Grönland eher gering. Die einzigen Möglichkeiten, diesen Ort zu verlassen, sind die eigenen Füße oder ein Flugzeug. Da das finale Ziel der Reise die 250 Kilometer entfernte Diskobucht sein sollte, bot sich das Flugzeug als weiteres Transportmittel an.

Eisberge

Die Diskobucht ist die Haupttourismusregion des Landes und beherbergt die wohl größte Sehenswürdigkeit Grönlands: Kangia, ein Fjord, dessen Wasser vor lauter Eisbergen kaum sichtbar ist. Schrift als auch Bild vermögen es nicht, die Größe dieser schier unendlichen Masse an aufgetürmtem Eis zu beschreiben. Ein faszinierender Anblick, der jedoch, betrachtet man die Schrumpfung des damit verbundenen Gletschers, einen bitteren Beigeschmack hat.

An jener Stelle, an der sich die Eisberge des Fjords in der Weite der Diskobucht verlieren, liegt Ilulissat, ein kleiner, aber sehr lebendiger Ort, der nicht zuletzt aufgrund des sehenswerten Eisfjords Touristen anzieht. Ja, es gibt hier Touristen. Für meine Verhältnisse eine gerade noch akzeptable Anzahl. Die meisten Touristen sind wohlbetuchte, in uniforme rote Jacken gekleidete Menschen, die hier einen Zwischenstopp auf ihrer Kreuzfahrt einlegen, um später sagen zu können, sie hätten einmal die Arktis bereist.

Oranger BusSchiffsrumpf

Angekettete Hunde auf einem Felsen.

Kreuze auf einer Wiese

Hier beginnt nun unsere Reise – vorbei an zahllosen angeketteten Schlittenhunden, moosbedeckten Felsen und einem alten Friedhof. Die Wolken hängen tief. Kalter Wind weht uns vom Fjord entgegen. Es beginnt zu regnen.

Das Wetter präsentiert sich unangenehm, unvorhersehbar, unwirtlich und die Sonne ist ein seltener Gast auf dem Weg in die Wildnis. Aber hätte ich eine Schönwettergarantie gewollt, wäre ich sicherlich nicht hier, 250 Kilometer nördlich des Polarkreises, gelandet. Die Ruhe und Abgeschiedenheit der Natur ist es, die auf mich einen ganz besonderen Reiz ausübt.

Der Reiz, an Orten zu stehen, die nicht viele Menschen sehen werden, da es zu mühselig ist, sie zu erreichen. Ein Gefühl wie dieses treibt mich an, meine Kamera in die Hand zu nehmen. Beim Fotografieren versuche ich, mich auf das Wesentliche zu reduzieren – sowohl bei der Motivwahl, als auch bei der Ausrüstung. Leider gelingt mir Letzteres so gut wie nie. Ich reise meist mit zwei Festbrennweiten, meiner in die Jahre gekommenen Spiegelreflexkamera und einer Kompaktkamera. Das beschwert meinen Rucksack immer um einige Kilogramm, die ich im Endeffekt aber gern trage.

Eine Frau sieht aufs Meer.

Ein Zelt am Meer.

Auf dem Weg in Richtung Norden liegt relativ unscheinbar Oqaatsut, ein kleines Fischerdorf mit etwa 40 Einwohnern. Das Wetter, das in dieser Region für gewöhnlich recht niederschlagsarm ist, zeigt sich auf dieser Etappe leider von seiner erbarmungslosen Seite. Durch Dauerregen und Sturm verwandeln sich kleine Trampelpfade in Bäche und Wiesen in Seen. Wasser, das durch den Permafrostboden nicht abfließen kann, steht buchstäblich überall, auch in Rucksack und Kleidung und Schuhen.

Umso dankbarer sind wir, als wir in Oqaatsut ankommen. Wir bleiben nicht lange unbemerkt. Logischerweise, denn die Einwohnerzahl des Ortes hatte sich mit unserem Eintreffen um etwa 5% erhöht. Man bietet uns eine Übernachtung im Hotel an – eines von zwei Häusern im Ort mit eigener Dusche. Wir nehmen dankend an.

Ein Dorf bei Nacht mit erleuchteten Fenstern.

Eisberge in der Dämmerung.

Seinem holländischen Namen Rodebay (rote Bucht) macht Oqaatsut am darauffolgenden Tag alle Ehre. Ein Einwohner kehrt von der Jagd zurück. Über der Bordwand seines kleinen gelben Motorboots hängen zwei ausgewachsene Robben. Ein metallischer Geruch liegt in der Luft, als er die Tiere am Ufer ausnimmt. Der Bürgermeister von Oqaatsut berichtet mir, dass die Robben heutzutage für den Eigenbedarf geschossen werden und jedes Teil des Tiers eine Verwendung findet, wohingegen früher viele Robben allein ihres Fells wegen gejagt wurden.

Frische, gerade aus dem Tier geschnittene Leber wird feilgeboten. Sie gilt auch heute noch als Spezialität in Grönland. Es ist angenehm zu sehen, dass sich Oqaatsut trotz des gelegentlichen Einfalls von Touristenbooten seine Ursprünglichkeit bewahrt hat.

Ein Mann nimmt eine Robbe aus.

Unsere Reise führt uns weiter per Boot durch das aufgepeitschte Wasser der Baffin Bay, vorbei an zahlreichen Eisbergen, die sich nach und nach lichten und den Blick auf die Diskoinsel freigeben; eine Insel, die sich landschaftlich stark vom grönländischen „Festland“ unterscheidet. Schwarze Strände geben einen ersten Vorgeschmack auf die beeindruckenden vulkanischen Ausprägungen der Diskoinsel. Hier laufen Eisberge auf Grund, stranden und warten darauf, von der Sonne, wenn sie denn einmal scheint, ihrer endgültigen Bestimmung zugeführt zu werden.

Eisberge an einem schwarzen Strand.

Auch die Menschen unterscheiden sich scheinbar von den „Festlandgrönländern“. Geprägt von der Abgeschiedenheit und der kleinen, intimen Gemeinschaft, in der sie leben, wirken sie ein wenig scheu. Nichtsdestotrotz halten auch in Qeqertarsuaq, einer der beiden Siedlungen auf der Diskoinsel, westliche Gepflogenheiten Einzug.

Eine kleine Tankstelle versorgt die wenigen Autos, die das Straßennetz der 900-Seelen-Gemeinde mit spärlichem Verkehr füllen. Ein Platz neben dem Heliport dient als Fußballfeld, das regelmäßig zum Schauplatz schweißtreibender Punktspiele vor eisklater Kulisse wird. Ein kleines Restaurant im Ort serviert Burger und Bier.

Ein Mensch auf einer grünen Bank betrachtet die Eisberge auf dem Meer.

Fußballspieler

Doch über die Ortsgrenzen von Qeqertarsuaq hinaus verliert sich schnell jede Spur der Zivilisation und auch die der wenigen Touristen, die sich hierher verirren. Die Pfade, falls man welche findet, sind nicht ausgetreten und eine unglaubliche Stille hält Einzug.

Im Blaesdalen, dem Tal des Windes, ist es eben jener, der das Wetter der Insel stets aufs Neue durcheinander wirbelt und die Tafelberge, die das Tal säumen, einmal im Nebel verschwinden und ein andermal in der Sonne strahlen lässt. Die schroffe Küste der Diskoinsel ist gesäumt von Basaltformationen.

Ein steiniger Felspfad führt ins Meer.

Eine Hand voller blauer Beeren.Eine Person mit großem gelben Rucksack auf einer nebligen Wiese.

Andernorts wäre dieser beeindruckende Ort sicher ein touristisches Highlight inklusive detaillierter Ausschilderung und geräumiger Parkplätze. In Grönland hingegen scheint man sich dem Vermarktungspotential des eigenen Landes noch nicht bewusst zu sein. Welch Glück für jene Besucher, die nach Einsamkeit und Natur in aller Ursprünglichkeit suchen.

Grönland verabschiedet sich von uns mit einem Schauspiel, das kitschiger kaum sein könnte. Während wir vor unserem Zelt sitzen und den Sonnenuntergang über Kangia genießen, tauchen zwei Wale in der Bucht auf. In einiger Entfernung bricht ein Eisberg entzwei.

Ein gelbes hell erleuchtetes Zelt vor einem dunklen Eismeer.

Welch versöhnlicher Abschluss für eine Reise, die für nachhaltige Eindrücke gesorgt und mich zur Ruhe hat kommen lassen und doch nur einen winzigen Teil dieser großen, rauen Insel offenbart hat. Zeit für mich, die Kamera zur Seite zu legen und die Schönheit Grönlands ein letztes Mal mit bloßem Auge zu genießen.

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