Straßenfotografie: Ein Mann schaut nach oben.
01. Dezember 2014 Lesezeit: ~5 Minuten

Von Hamburg bis Palermo

Die besten Geschichten schreibt das Leben selbst. Sie liegen sprichwörtlich auf der Straße und warten darauf, (auf-)gelesen und weitererzählt zu werden. Gemeinsam mit neun weiteren Straßenfotografen versuche ich, besondere Alltagsepisoden zwischen Norddeutschland und Sizilien aufzuspüren, um sie für andere sicht- und erlebbar zu machen.

Ein stark behaarter Mensch steht am Stand in Palermo.

Giorgio Scalici, Palermo

Ich bin im Süden von Deutschland aufgewachsen, aber meine Kindheitserinnerungen sind untrennbar mit dem Urlaubsland Italien verknüpft. Auch heute stellt sich jedes Mal ein besonderes Gefühl der Vorfreude ein, wenn ich an den obligatorischen Zwischenstopp an der Autobahnraststätte auf Höhe des Gardasees denke – samt dem ersten Espresso auf italienischem Boden.

Das Sehnsuchtsland Italien hat vor ein paar Jahren auch mein fotografisches Interesse geweckt. Auf Reisen suche ich meine Motive als Straßenfotograf regelmäßig im Alltagsleben italienischer Städte. Meistens vertreibe ich mir die Zeit von früh bis spät auf öffentlichen Plätzen, besuche Märkte oder Cafés.

Das Tatoo eine Mannes sorgt für Verwirrung

Michele Liberti, Napoli

Ich stehe vor Sonnenaufgang auf, um auf der Suche nach etwas, von dem ich vorher noch nicht weiß, was es ist, stundenlang durch bekannte oder unbekannte Straßen zu streifen. Beim Fotografieren bin ich am liebsten allein, mit meiner Leidenschaft jedoch nicht.

Oft lerne ich unterwegs andere Straßenfotografen kennen, denen das Gefühl sehr vertraut ist, das sich einstellt, wenn man nur mit der Kamera im Gepäck versucht, die Magie eines Ortes und vor allem eines besonderen Augenblickes festzuhalten.

Ein aufblasbarer Hai im Wasser.

Mary Cimetta, Cervia

Wenn ich aus Italien nach Deutschland zurückkomme, ergreift mich meist bald wieder das Fernweh. Um den Kontakt zu den befreundeten Fotografen in Italien von Deutschland aus nicht nur zu halten, sondern viel mehr zu intensivieren, kam mir während einer Romreise im Sommer 2013 die Idee für ein länderübergreifendes Fotoprojekt: „VIA! – Straßenfotografie von Hamburg bis Palermo“.

Der Grundgedanke des Projekts, das mit Unterstützung des Goethe-Instituts derzeit Wirklichkeit wird, ist einfach: Jeweils fünf Straßenfotografen beider Nationen zeichnen durch Aufnahmen aus ihrer Region über den Zeitraum von 52 Wochen ein Stimmungsbild des Alltags zwischen Hamburg und Palermo.

Ein Hund steht auf einem Skateboard.

Marga van den Meydenberg, Berlin

Die Zwischenergebnisse werden während der Projektlaufzeit in einem wöchentlich aktualisierten Blog und anschließend per Wanderausstellung gezeigt.

Für mich war es wichtig, mit dem Projekt eine Kommunikationsplattform zu schaffen, die den beteiligten Fotografen einen grenzüberschreitenden Austausch über Fotografie ermöglicht. Was die inhaltliche Ausrichtung des Projektes anbelangt, sollten sich die unterschiedlichen Lebensmittelpunkte, Perspektiven und Herangehensweisen der Beteiligten in den Fotografien widerspiegeln.

Zwei Frauen werfen Schatten auf zwei Schirme.

Umberto Verdoliva, Lerici

Abgesehen davon gab und gibt es keine klaren Einschränkungen oder Zielvorgaben. In meiner Vorstellung ist „VIA!“ ein ergebnisoffenes Experiment, nach dessen Abschluss sich zeigen wird, ob die Unterschiede zwischen Deutschland und Italien deutlich sichtbar hervortreten oder ob Landesgrenzen eher verschwimmen.

2014 habe ich mit der Suche nach passenden Fotografen begonnen, wodurch das Projekt langsam klarer Form angenommen hat. Mit Umberto Verdoliva aus Treviso und Stefano Mirabella aus Rom, deren Fotos ich schon länger online verfolge und die ich beide im Frühjahr persönlich auf Reisen getroffen hatte, zeigten zwei meiner Wunschkandidaten Interesse.

Ein Mensch schaut in eine große Kugel.

Berlin, Guido Steenkamp

Beide sind Mitglieder des italienischen Straßenfotografie-Kollektivs Spontanea, an dem auch Mary Cimetta aus Bologna beteiligt ist. Ihr gelingt es regelmäßig, mich zu verblüffen, indem sie durch clevere Perspektivenwahl unzusammengehörige Bildelemente fantasievoll miteinander in Verbindung bringt, sodass neue Inhalte geschaffen und Geschichten erzählt werden.

Mit ihrer besonderen Wahrnehmungsfähigkeit ringt sie auch einer vermeintlich langweiligen Alltagsumgebung humorvolle Szenen ab.

Ein Hund springt einen Mann an.

Michael May, Iserlohn

Mir war es wichtig, dass möglichst viele Teilnehmer aus unterschiedlichen Regionen stammen, sodass durch die entstehenden Aufnahmen große Teile des jeweiligen Landes abgedeckt werden. Mit Michele Liberti aus Neapel und Salvatore Giorgio Scalici, der aus dem sizilianischen Palermo kommt, habe ich zwei passende Kandidaten gefunden, die beide in ganz besonderen süditalienischen Städten leben und fotografieren.

Auf deutscher Seite hatte ich das Glück, als ersten Eckpfeiler In-Public-Mitglied Siegfried Hansen aus Hamburg für das Projekt gewinnen zu können. Er zählt meiner Meinung nach nicht nur wegen seines besonderen Gespürs für Komposition zu den herausragenden zeitgenössischen Straßenfotografen.

Ein Mann trägt eine Frau auf dem Rücken.

Fabian Schreyer, München

Observe-Mitglied Michael „Monty” May aus Iserlohn, der Berliner Guido Steenkamp sowie die ebenfalls in der Hauptstadt lebende Niederländerin Marga van den Meydenberg vervollständigen das zweite Fünferteam, in dem ich auch selbst als einer der Fotografen mitwirke.

Straßenfotografie: Eine Hand an einer Wand sorgt für einen Bildwitz.

Siegfried Hansen, Berlin

Seit Anfang Oktober läuft das Projekt und noch ist es zu früh, um ein Fazit zu ziehen. Aber schon jetzt freue ich mich auf die Fotoauswahl für die Ausstellung und vor allem auf das persönliche Zusammentreffen mit den anderen Fotografen, von denen ich manche bisher nur via Internet kenne.

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