vögel, äste, baum
16. April 2014 Lesezeit: ~13 Minuten

21 Wege, die eigene Fotografie zu verbessern

Auf einer Ausstellung wurde ich von einem Jungen, der gerade erst anfing, zu fotografieren, gefragt: „Ganz spontan: Was sind die wichtigsten Dinge, um mich selbst in der Fotografie zu verbessern?“

Es war eine so direkte Frage und ich hatte mich so lange mit Fotografie beschäftigt, aber glaubst Du, ich hätte eine einfache und kurze Antwort parat gehabt? Ich stockte und entschied mich, ernsthaft darüber nachzudenken, um eine zufriedenstellende Antwort geben zu können. „Ich komme auf dich zurück“, antwortete ich.

Wie beantwortet man eine solche Frage? Indem man zurückblickt: Zurück auf meine Negative, meine Drucke, meine Methoden, Erfolge, Fehler und, um es kurz zu machen, meinen persönlichen Werdegang in der Fotografie.

Eine Portraitfotografie, die einen alten Herrn auf einem Hocker zeigt, der ins Licht schaut.

Nach dieser Prüfung (eine gute Quelle, wie man es nicht machen sollte) stellte ich eine Liste zusammen, reduzierte sie auf das Wesentliche und hatte die Antworten gefunden. Auch mit dem Risiko, etwas autoritär zu klingen, hier sind die …

21 Wege, die eigene Fotografie zu verbessern

  1. Fotografiere mehr, drucke mehr, nachbearbeite mehr. Das meine ich ernst. Das Beste daran, mehr zu produzieren ist nicht, einfach mehr Fotos zu haben, sondern das Üben an sich. Neben dem Üben selbst hat das „mehr“ auch noch einen zweiten Effekt: Glück. In der Fotografie zählt ein Foto, das durch Glück entstanden ist, genauso viel wie eines, das vorher gut geplant war. Mehr? Was bedeutet mehr? Wenn Du nicht von zehn Drucken für eine Ausstellung neun aussortierst und nur einen verwendest, dann bist Du nicht kritisch genug. Wenn Du nicht 100 Bilder machst, um am Ende nur eines davon zu drucken, dann bist Du nicht energisch genug.
  2. Wenn ich nur eine Sache empfehlen könnte, die die meisten Fotos mehr als irgendetwas sonst verbessert, dann würde ich empfehlen, einen dicken Punkt in die Mitte des Suchers zu kleben. Somit kann man nicht sehen, was sich dort befindet. Vermeide eine mittige Bildkomposition, wann immer es möglich ist. Immer, wenn ich ein Motiv sehe, was sich im Zentrum das Bildes befindet, dann weiß ich, dass der Fotograf unsicher ist. Unsicher über sein Bild und unsicher, warum er Kunst macht. Wir machen keine Kunst, um zu zeigen, wie etwas aussieht. Dafür braucht man nur Augen (oder ein Objektiv). Kunst soll Bedeutung haben, Gefühle spiegeln, Kraft ausstrahlen und eine gewisse Magie beinhalten. Zeig nicht einfach, was das Motiv ist, sondern zeig, was es nicht ist, was es bedeutet, wieso es existiert, für wen es ist, wo es sich befindet und wann es ist. Stell dir einen Roman vor, der nur aus Beschreibungen besteht; ohne Handlung, Motivation, Tiefe oder Dramaturgie wäre ein Roman nur ein Katalog von Objektbeschreibungen. Bei Fotografien ist es genauso.
  3. Denk zweidimensional. Du machst kein Bild von etwas, Du machst etwas – und was Du machst, ist zweidimensional. Wenn es Dir schwer fällt, dieses Sehen zu lernen, dann benutz Deinen Bildschirm an der Kamera. Oder mach vor dem Bild eine Skizze, um zu sehen, wie es aussehen wird bzw. soll. Lerne, Kanten und Formen zu sehen und nicht Details und Farben. Kneif die Augen zusammen und lass die Details der Welt verschwimmen. Sieh Deine Bildkomposition zuerst als große Flächen und lass die Kamera die Details erwecken. Komposition dreht sich um Flächen und die Texturen zeigen die Details.
  4. Das beste Teleobjektiv der Welt sind Deine Füße. Geh näher ran. Noch näher. Nimm weitwinkligere Objektive und geh näher ran. Die besten Fotos sind fast immer die, in denen sich der Betrachter direkt in der Welt des Bildes wähnt. Der leichteste Weg ist, ein weitwinkligeres Objektiv zu benutzen und näher an das Motiv oder die Szenerie heranzugehen. Sicher ist nicht jedes gute Bild mit einem Weitwinkel entstanden. Aber wenn 30 % Deiner Bilder mit einem Weitwinkelobjektiv und 70 % mit einem Teleobjektiv entstanden sind, dann tausche dieses Verhältnis und Deine Bilder werden sich rapide verbessern.
  5. Fotografie ist teils Kunst und teils Technik. Sie bezieht das Herz ein, wird aber durch Optik, Chemie, Elektronik und die Gesetze der Physik erstellt. Der technische Teil wird durch eine Reihe von Variablen beeinflusst und ist viel einfacher zu erlernen, wenn man die Zahl der Variablen reduziert. Beschränke Dich auf das Wesentliche. Benutze nur wenige Kameras und lerne, wie sich die Kamera verhält. Besseres Equipment macht keine besseren Fotos. Denk immer daran: Die großartigsten Fotos der Geschichte wurden mit primitiveren Kameras gemacht, als denen, die Du im Moment besitzt.
  6. Arbeite in Projekten. Mache viele Bilder und sieh genauer hin. Nimm Dir Zeit, Motive zu fotografieren, die du schon einmal fotografiert hast. Sieh Dir Deine Bilder an und suche nach den Dingen, die diese Bilder besonders machen. Denk darüber nach, was Du mit Deinem Foto hast sagen wollen. Denk Dir Deine erste Fotografie-Runde als ein Aufwärmtraining, ein Notizbuch mit Skizzen. Wenn Du noch einmal daran arbeitest, dann siehst Du neue Aspekte. Sieh Deine bisherigen Fotos als Lehre. Jedes Projekt erfordert, sich intensiv damit zu beschäftigen. Lies, studiere, stell Dir Fragen, sieh Dir die Arbeiten derer vor Dir an. Denk nach, frag noch einmal und mach Dir Notizen. Ein abgeschlossenes Projekt, das nicht einen guten Teil an Notizen beinhaltet, ist wahrscheinlich ein Projekt, das vor dem Abdrücken nicht genug bedacht wurde.
  7. Entwickle Dein Equipment zurück. Jedes Bild, jedes Projekt wird am besten mit einem bestimmten Satz aus Werkzeugen erstellt. Schau Dir an, was Du vorhast und such Dir die Werkzeuge aus, die dafür passen. Wenn Du ständig neues Equipment brauchst, dann lies noch einmal Tipp #5.
  8. Nimm an Workshops teil. Lies Bücher. Suche nach Tipps von erfahrenen Fotografen. Man muss das Rad nicht neu erfinden. Wenn Du großartige Fotos machen willst, dann sieh Dir großartige Fotos an und sprich mit großartigen Fotografen. Sei für eine Weile Assistent. Mach Dir zur Aufgabe, großartige Fotos zu reproduzieren, so gut wie möglich. Wenn Du dabei erfolgreich bist, dann lösch diese Fotos und zeig sie niemandem. Lerne von den Meistern, aber werde nicht wie sie. Frage nicht nach den Meistern, sondern frage, was sie gesucht haben. Dies hängt zusammen mit…:
  9. Arbeite Dich durch die Pflichtlektüre. Um weiter zu sehen als andere, musst Du auf den Schultern derer stehen, die vor Dir gearbeitet haben. Große Fotografen und Künstler vor Dir haben Arbeiten erstellt, die heute noch als Testament ihrer Kreativität dastehen. Um ihre Fackel weiter zu tragen, musst Du erst ihren Weg beschreiten. Lass Dich nicht davon entmutigen, wenn es Jahre dauert. Auch für sie hat es Jahre gedauert. Schau Dir die Geschichte an. Sieh Dir ihre Grundsätze, Regeln, Klischees und Techniken an. Beantworte damit Deine Fragen.
  10. Bring es zu Ende. Lass nicht zu, dass Deine Dateien wie in einem Lagerhaus für gute Kunst liegen bleiben. Beende die Arbeit daran. Um einen Film zu zitieren: Wenn Du es beendest, werden sie kommen. Es gibt ein universelles Gesetz der Zuschauer, das aussagt, dass, wenn Du eine Arbeit beendest, das Universum nicht zulassen kann, dass diese ungesehen bleibt. Möglichkeiten werden sich wie durch Magie entfalten. Wenn Du einmal alt bist, dann kannst Du zurückblicken und sehen, welche Projekte Deine besten waren. Wenn Dein bestes Projekt das zehnte war, dann konntest Du dieses nur schaffen, weil Du die neun Projekte davor beendet hast. Es gibt keinen schnelleren und effizienteren Weg, die Vorarbeit zu leisten, damit die nächste Arbeit wahrscheinlich Deine bisher beste wird. Beende es, leg es beiseite und mach weiter.
  11. Kreativität arbeitet nicht nach der Uhr. Die Ideen kommen und gehen von selbst. Bereite Dich darauf vor. Nimm immer ein Diktiergerät oder einen Notizblock mit. Fotografiere oder zumindest denk jeden Tag über Fotografie nach. Deine Ideen kommen in den unmöglichsten Situationen. Schreib sie auf.
  12. Leg die Fotografie beiseite und fang an, Kunst zu machen. Der höchste Zweck der Fotografie als Kunst ist die Kommunikation durch Bilder mit Deinen Mitmenschen. Kunstvolle Fotografie ist nicht dafür da, Sammler und Kuratoren zu beeindrucken. Die wirkliche Arbeit ist, Dich mitzuteilen. Auf dem Weg dabei übergibst Du dem Betrachter ein Bild, das ihn in Deine Welt blicken lässt und damit auch auf Dich. Wenn Deine Arbeit nicht jemanden bewegt, bewegt sie gar nichts.
  13. Entwickle Deine eigene fotografische Bildung. Lies Bücher, schau Dir Ausstellungen an, abonniere Fotozeitschriften (meist sind die Zeitschriften mit guten Fotos gerade keine Fotomagazine) und entwickle Deine eigene gedankliche Galerie mit Fotos, Fotografen und Vorlieben. Je mehr Du über andere Fotografen weißt, um so mehr weißt Du über Dich selbst. Dies hilft dabei, zu erkennen, ob Du Deinen eigenen Weg gehst oder auf dem Weg von jemand anderem wandelst.
  14. Ignoriere Ratschläge von anderen, wenn sie Dir erzählen, es wie sie zu machen. Natürlich schließt das wahrscheinlich auch diese Liste mit ein. Genauer gesagt geht es aber um Fotokritik. Es gibt keine nutzlosere Kritik als „Wenn das mein Foto wäre, dann würde ich…“. Es ist nicht ihr Foto, also ist der Ratschlag vollkommen unlogisch. Die besten Kritiker werden Dir sagen, was sie in Deinem Foto sehen und Dir überlassen, ob es ihre Interpretation ist und ob Du mit der Ideen Deines Bildes Dein Ziel erreicht hast oder nicht.
  15. Warte eine Weile, bevor Du Deine Arbeit veröffentlichst. Richte Dir einen Platz zuhause oder im Studio ein, wo Du viele Bilder anheften kannst. Bewahre sie dort auf, schau sie Dir wiederholt an, zu unterschiedlichen Tageszeiten, in unterschiedlichem Licht, in unterschiedlichen Stimmungen. Beobachte, wie sich Deine Reaktion zu einem Bild mit der Zeit verändert. Denk über die Idee nach, die Du beim Erstellen dieses Bildes hattest. Vielleicht entwickelst Du das Bild noch einmal neu, bearbeitest es anders oder fotografierst es noch einmal komplett neu. Das ist gut und zeigt, dass das Bild mit Dir spricht und Du auch zuhörst.
  16. Verlass Dich nicht auf Versprechen und finde selbst einen Weg. Lasst Dich nicht von irgendetwas abhalten, auf dem Weg Deine Kunst zu kreieren. Sei unabhängig. Verlass Dich nicht auf die Großzügigkeit von anderen, dies ist eine Falle. Du bist der einzige, dem Deine Bilder wichtiger sind als allen anderen. Das künstlerische Leben ist ein Weg, für den man bereit sein muss, zu zahlen.
  17. Denk genau über Deine Ziele nach. Was ist Dir wichtiger: Deinen Lebensunterhalt zu verdienen oder Deine Arbeiten zu verbreiten? Ist es Dir wichtiger, dass Deine Bilder der Masse gefallen oder es die Bilder sind, die Du machen musst? Wenn Du Glück hast, fallen diese Ziele zusammen. Wenn nicht, dann vereinfacht es alles weitere, zu wissen, was Dir wichtiger ist. Es gibt hier kein Richtig oder Falsch. Aber es bringt einen nur durcheinander, wenn sich die Ziele überschneiden.
  18. Fotografieren ist keine Gruppenaktivität. Lerne, allein zu arbeiten. Lerne, ohne Ablenkungen zu arbeiten. Mach die Musik aus. Umgib Dich mit Stille. Die Kreativität in uns spricht leise. Um sie zu hören, muss man sich an einem ruhigen Ort befinden.
  19. Fotografiere nicht, was fotogen ist. Fotografiere das, was Dich interessiert, selbst wenn das unmöglich ist. Es ist so gut wie unmöglich, ein gutes Foto von etwas zu machen, was Dich nicht interessiert. Empfindung für das Motiv, wie es mit dem Licht reagiert, wie es sich bewegt und verändert, wie es Dich fühlen lässt – das ist das Motiv Deiner Arbeit und nicht, was im Bild zu sehen ist. Es gibt keine langweiligen Motive, aber es gibt viele langweilige Fotos, gemacht von gelangweilten Fotografen. Wenn Du etwas empfindest, dann wird sich – mit Zeit und Hingabe – diese Empfindung auch in Deiner Arbeit zeigen.
  20. Denk nach. Denk aus der Sicht Deines Motives. Denk aus der Sicht Deines Betrachters. Denk darüber nach, was Du sagen willst. Denk darüber nach, wie das Bild mit der Zeit aussehen wird. Denk darüber nach, was an den Rändern ist, was innerhalb und was außerhalb des Fotos ist. Denk daran, was Du gesagt hast. Denk daran, was Du nicht gesagt hast. Am wichtigsten: Sei Dir im Klaren darüber, wann Du nachdenkst und wann Du aufhörst, zu denken. Kunst ohne Gedanken ist unvollständig. Kunst mit Gedanken ist unvollständig. Kunst zu machen, bedeutet beides und mehr als nur schöne Bilder zu machen.
  21. Kunst dreht sich nicht um Kunstwerke: Kunst dreht sich um das Leben. Um ein besserer Künstler zu werden, muss man zuerst ein besserer Mensch werden. Nicht moralisch gesehen, sondern im Verstehen. Der größte Künstler ist nicht der mit der besten Technik, sondern der mit dem größten Herzen.

Eine Landschaftsfotografie, die zeigt, wie ein Wald von Wolken eingenommen ist.

Dieser Artikel stammt von Brooks Jensen aus dem LensWork Magazine. Mit seiner Erlaubnis wurde er von Matthias Haltenhof ins Deutsche übersetzt.

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