04. Januar 2014 Lesezeit: ~9 Minuten

kwerfeldein diskutiert: Neugeborenenfotos

Im Redaktionschat besprechen wir Artikel, zeigen uns Bilder und oft sind wir einer Meinung, was wir auf kwerfeldein zeigen wollen und was nicht. Manchmal entstehen aber auch Diskussionen. Die letzte Diskussion empfanden wir dabei als besonders spannend, weil wir sehr unterschiedliche Meinungen zum Thema hatten.

Es geht um Neugeborenenfotografie. Alle, die sich bis jetzt noch nicht damit auseinander gesetzt haben, fragen sich jetzt sicher, was man an Babybildern diskutieren kann. Es geht uns hier vor allem um die Darstellungsweise der Neugeborenen. Es diskutieren Martin, Katja und Marit.

Katja: Martin, Du setzt Dich stark für natürliche Neugeborenenfotografie ein. Ich fände es gut, wenn Du anfängst und erst einmal definierst, was das für Dich genau bedeutet.

Martin: Das Wort „natürlich“ zu definieren ist gar nicht so einfach. Bezogen auf die Neugeborenenfotografie würde ich es so umreißen: Es handelt sich für mich um Bilder, bei denen Kinder so gezeigt werden, wie sie im ungeschönten Alltag aussehen. Wie sie schreien, krabbeln, weinen, bei Mama im Arm liegen oder gewickelt werden.

Natürlich heißt für mich: Nichts wird hinzugefügt, nichts arrangiert. Wer fotografiert, arbeitet mit dem, was da ist und setzt sein Handwerk ein, um die Momente kameraseitig glaubhaft, aber interessant und ansprechend auszukomponieren und festzuhalten.

Marit: Und im krassen Gegensatz zu dieser natürlichen Darstellung von Babys stehen Bilder wie sie beispielsweise die bekannte Fotografin Anne Geddes berühmt gemacht hat. Wenn ich so an die ersten Babybilder in meinem Leben denke, dann muss ich unweigerlich an genau diese Bilder denken. Babys in seltsamen Posen als Salatkopf, Sonnenblume, Kürbis oder weiß der Geier. Ich habe mich immer gefragt, ob das jemand ernst nimmt.

Und ja, es gibt Eltern, die einen Fotografen genau dafür bezahlen, ihr Kind oder besser ihr Baby zu inszenieren. Ich finde das sehr fragwürdig, weil es das Kind zum Dekorationsobjekt werden lässt.

Katja: Ich denke, Martins Vorstellung von guten Babybildern und den Inszenierungen von Anne Geddes sind zwei Extreme, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Bei Neugeborenenfotos finde ich meist Bilder, die irgendwo dazwischen liegen. Ich verdiene ja selbst mein Geld mit Kinderbildern und weiß, dass es schwer ist, nicht zu inszenieren. Die Zeit ist knapp und die Eltern haben bestimmte Fotos im Kopf, die sie umgesetzt haben möchten: Ein Familienbild, auf dem alle in die Kamera sehen und lächeln, manchmal steht auch ein Weidenkörbchen bereit. Ich verstehe diese Wünsche.

Zusätzlich zu diesen Wunschbildern mache ich auch noch eine Handvoll dokumentarische Bilder, meist nachdem ich sicher bin, die typischen im Kasten zu haben. So versuche ich einen Kompromiss zu finden zwischen den altbewährten Inszenierungen und dem dokumentarischen Stil. Bei den Bestellungen der Prints werden jedoch fast immer die Inszenierungen ausgewählt. Die Frage ist für mich deshalb, ob es für wirklich natürliche Neugeborenenbilder einen Markt gibt. Gesehen habe ich sie bisher nur bei Fotografen, die ihre eigenen Kinder fotografieren.

Martin: Es gibt meiner Meinung nach für alles einen Markt. Es wird immer die Eltern geben, die Inszenierungen wollen, aber es gibt garantiert auch Eltern, die das nicht wollen. Diese müssen natürlich erstmal gefunden werden, aber ich glaube, dass das am besten geht, in dem erst einmal die ungestellten Fotos in einem Portfolio landen und publiziert werden. Dann melden sie diese Menschen garantiert. Da bin ich recht sicher.

Anne Geddes’ Fotos verkaufen sich ja auch. Und zwar deshalb, weil sie für etwas einen Markt geschaffen hat, was vorher noch nicht in dieser Weise zu sehen war. Diesen Spieß sollte man meiner Meinung nach umdrehen. Das dauert, braucht Zeit und Geduld. Aber ich bin mir sicher, dass es funktioniert. Wenn es um Neugeborene geht, sollte der Einfluss des „Marktes“ meiner Meinung nach eingedämmt bzw. umgekehrt werden.

Katja: Ja, das ist ein schöner Gedanke. Ich persönlich finde diese Bilder aus dem Geschehen heraus auch viel reizvoller und wenn sich dafür mehr Eltern finden würden, wäre das großartig.

Allerdings finde ich auch die gestellten Bilder interessant. Okay, Anne Geddes ist eine Nummer für sich, aber ich würde sagen, das sich aus den Inszenierungen eine Kunstform ergeben hat. Es gibt bestimmte Neugeborenen-Posen und die Kleidung, Tücher und Decken werden farblich aufeinander abgestimmt. Süß wirken diese Bilder, ohne Frage. Und wenn Eltern diese Fotos möchten, ist auch diese Art der Fotografie für mich legitim, wenn darauf geachtet wird, dass das Baby nicht in Gefahr gebracht oder gestresst wird.

Martin: Gerade dieser Tage bin ich über die Bilder von Jenny Lewis gestolpert. Sie fotografiert Neugeborene, die einen Tag alt sind immer zusammen mit der Mutter. Was mir persönlich sehr zusagt, denn so wird auch die Beziehung von Mutter und Kind dokumentiert und nicht nur das Kind selbst vorgestellt.

Man achte auch auf ihre Herangehensweise: Immer in Farbe, kein Studio, keine extra Decken oder Verzierungen am Kind, nicht einmal geblitzt wird hier. Und sie hat damit Erfolg, denn scheinbar findet sie genügend Mütter, die das wollen und wurde auf My Modern Net präsentiert.

Da braucht es meiner Meinung nach nur noch ein paar Fotografen, die diesen Stil übernehmen, dokumentarisch arbeiten und schon haben wir einen Markt. Das geht. Und es ist meiner Ansicht nach natürlicher.

Marit: Warum es vielleicht keinen Markt für natürliche Neugeborenenfotografie gibt, ist, dass es ein sehr intimer Moment ist und die meisten Mütter als letztes daran denken, ihr Kind einem Fremden vorzustellen. Außerdem besitzt heute doch fast jeder eine Fotoknipse und so entstehen die intimen Bilder wohl doch eher im familiären Rahmen.

Ich schließe die Neugeborenenfotografie aus der kommerziellen und dekorierenden Fotografie aus und sehe es eher wie Martin im Bereich der dokumentarischen Fotografie, wie beispielsweise bei Elinor Carucci.

Katja: Eure Beispiele sind mir persönlich zu dokumentarisch. Neugeborenenbilder sind für die Familien wichtig, weil sich der kleine Erdenbürger so schnell verändert und die Zeit so rasch vergeht. Nach den ersten zwei Wochen ist der Familienzuwachs schon so viel gewachsen, das ist unglaublich.

Ich selbst wollte bei meinen Kindern auch einfach nur festhalten, wie sie aussehen. Ich wollte die Bilder stolz Freunden und der Familie zeigen. Da habe ich als letztes an eine Dokumentation in dem Sinn gedacht. Aber ich wollte auch keinen Kitsch. Das Dazwischen fehlt mir etwas bei unserer Diskussion.

Marit: Ich empfinde die ersten 14 Tage als sehr geheimnisvoll. Es bedarf große Behutsamkeit in dieser Zeit, um Bilder zu machen. Meine Eltern haben beispielsweise sehr viele Bilder von uns auch in den ersten Tagen gemacht und ich bin froh, dass es Bilder sind, die mein Vater gemacht hat und keine fremde Person.

Ich denke einfach, dass nicht alles kommerzialisiert werden muss bzw. die ersten 14 Tage behutsam betrachtet werden sollten. Vielleicht gibt es ja Beispiele für gute Neugeborenenfotografie, die wir nur nicht im Netz finden, weil die Eltern due Veröffentlichung dieser Bilder untersagt haben. Was mich sehr beruhigen würde.

Martin: Gerade aus der Perspektive heraus, dass Neugeborenenfotografie sehr viel mit der reinen Dokumentation zu tun hat, finde ich, dass Kitsch nicht im Geringsten eine Relevanz hat. Natürlich dokumentiert ein kitschiges Foto auch, aber Kitsch addiert eine unrealistische Komponente, die bewusst gewählt oder abgelehnt werden kann.

Interessanterweise sind viele Neugeborene erst einmal nicht „schön“. Denn manchmal hat sich die Form des Kopfes nach der Geburt nocht nicht ganz gefunden und die Kleinen sind schrumpelig. Dass hier von fotografischer Seite quasi ein Ausgleich gesucht wird, ist nachzuvollziehen, aber meiner Meinung nach nicht verfolgenswert, da meines Erachtens zu viel egogetriebenes Wunschdenken hineinprojiziert wird.

Kinder sind, wie sie sind. Und das ist gut so. Wir müssen sie nicht noch süßer machen oder sie so drappieren, beleuchten und anziehen, dass jede Falte oder alles, was an die Geburt erinnert, nicht mehr zu sehen ist. Dagegen möchte ich in dieser Diskussion klar Stellung beziehen, denn so nehmen wir dieser Zeit genau das, was Marit eben angesprochen hat: Das Geheimnis.

Katja: Neugeborene sind wunderschön, vor allem für die Eltern. Du wirst nur schwer eine Mutter finden, die Dir sagt, wie hässlich ihr Baby doch ist. Und das nicht, weil man das vielleicht nicht sagt, sondern weil das Baby für die Eltern ein Wunder ist. Und als solches will man es doch auch abgebildet wissen. Diese Liebe, die man empfindet, soll sich im Foto wiederfinden. Das Bild soll warm und einfach etwas Besonderes sein.

Diesen Wunsch vieler Eltern so abzusprechen, halte ich für schwierig. Jeder mag andere Dinge und wenn die Wünsche der Eltern mit denen des Fotografen übereinstimmen – warum nicht? Noch einmal: Vorausgesetzt natürlich, man legt beim Shooting größten Wert auf Sicherheit und die Bedürfnisse des Babys.

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