03. Oktober 2013 Lesezeit: ~6 Minuten

Über Freiheit

Die letzten 13 Monate arbeitete ich an einem Bildband über Freiheit. Das Ergebnis ist eine Sammlung aus sehr grafischen und surrealistischen Portraits von Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Mit Menschen aus über 35 verschiedenen Nationen arbeitete ich zusammen. Darunter waren Länder wie Korea, Taiwan, China, Vietnam, Weißrussland, die Türkei, Saudi Arabien und viele mehr.

Natürlich konnte ich nicht die Geschichte der Deutschen außen vorlassen und so fotografierte ich unter anderem die Politikerin Vera Lengsfeld, die von ihrem Mann während der Stasi-Zeit 30 Jahre lang bespitzelt wurde. Doch nicht nur politische Themen im Hinblick auf Freiheit sollten behandelt werden.

Türkei - Fatih © Fabian RütherWeißrussland - Zhenya © Fabian Rüther

Wir reden hier von einem Wort, einem Begriff, der viel elementarer ist, als die Politik. Es geht vor allem um den Menschen und seine Geschichte.

Die Welt hat nie eine gute Definition für das Wort „Freiheit“ gefunden.
(Abraham Lincoln)

Eine zutreffende Definition für Freiheit zu ermitteln, ist womöglich ebenso schwierig, wie das Rad neu zu erfinden. Ich kann und möchte somit auch nicht meine Interpretation von Freiheit aufdrücken. Würden Umfragen zur Hilfe gezogen, um zu definieren, was Freiheit eigentlich ist, würden die Antworten mehr Auskunft über den Probanden als Individuum geben, als Auskunft zur Definition.

USA - Abigal © Fabian RütherGriechenland - Errikos © Fabian Rüther

Im Ausschlussverfahren nähern wir uns der Lösung, denn wir haben durch unser kultur- und geschichtlich geprägtes Wertesystem erlernt, was Freiheit zumindest nicht sein kann: Gesetze, Zensuren, Diktaturen und Zwänge. Alles Begriffe, die wir konträr zur Freiheit assoziieren. Jedoch vergessen wir dabei, dass Gesetze (zwar nicht immer und überall) Stützen unserer Freiheit sind. Was passiert, wenn diese nicht vorhanden sind, können wir nahezu monatlich in den USA verfolgen …

Doch wie wichtig ist uns Deutschen das Thema? Denn ist es nicht so, dass wir erst verstehen, wie elementar etwas ist, wenn es uns weggenommen wird? Zumindest ist das ein Eindruck, der mich während meiner Arbeit immer begleitet hat durch den einfachen Fakt, dass vor allem mehr Menschen aus Ländern wie China, der Türkei und Ostdeutschland sich für das Projekt gemeldet haben als Menschen aus der Schweiz oder aus Holland oder eben Westdeutschland. Dennoch, die Bereitschaft eine Message in die Welt zu tragen, war riesig und hat mich einfach überwältigt. Über 200 Anfragen, von denen es letztendlich 70 ins Buch geschafft haben.

Ein Blick ins Buch

Vietnam – Julia – Boat People.

Vietnam - Julia © Fabian Rüther

In der Folge des Vietnamkrieges 1970 in Südostasien versuchten über 1,6 Millionen Menschen aus Angst um das eigene Leben über den Seeweg ins Ausland zu fliehen. An Land war Vietnam ausschließlich von Staaten umgeben, die sich kaum als Zuflucht eigneten. Aus diesem Grund versuchten viele die Flucht über das Südchinesische Meer. Man nannte diese Menschen „Boat People“.

Die meisten Boote trugen zwischen 150 und 600 Personen. Der Zustand der Boote war unzureichend, viele Menschen starben auf dem Seeweg durch Nahrungsmangel, Wasserknappheit und Krankheiten. Deshalb erreichten über 250.000 Menschen nicht die Küste und fanden ihren Tod im Meer.

Viel Glück hatten dabei die Eltern von Julia Nhi. Sie gehörten zu den damaligen Bootsflüchtlingen und konnten durch ein Rettungsboot in Sicherheit gebracht werden. Mit der Rettung wurde nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch der Weg für Julia und ihre Geschwister gesichert.

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Deutschland – Falk – Wer ist mehr?

Falk © Fabian Rüther

Ich habe mich im Osten nicht wirklich unfrei gefühlt. Ich konnte aus meinem Klassenzimmer Häuser sehen, die in Westberlin standen. Dass ich dort nicht hingehen durfte, war genauso, wie die Tatsache, dass ich nicht so viel Schokolade essen durfte, wie ich gerne wollte und dass meine Eltern immer recht haben, auch wenn ich glaube, dass sie manchmal nicht recht hatten. Man darf als Kind nicht alles und muss lernen, mit Grenzen umzugehen.

Das finde ich auch heute noch so und ich finde Leute lächerlich, die glauben, dass sie frei sind oder die glauben, dass sie freier sind als jemand anderes. Freiheit hat viel mit Selbstverständnis zu tun. Wenn in Amerika die Freiheit propagiert wurde, sich vom Tellerwäscher zum Millionär hocharbeiten zu können und es tatsächlich Leute gibt, denen das gelingt, so wurde in der DDR propagiert, sich als Arbeiter frei von Ausbeutung zu fühlen und es gibt tatsächlich Leute, die das empfunden haben.

Der Spruch: „Ich bin Bergmann, wer ist mehr?“ symbolisiert für mich dieses Selbstverständnis. Ich bin in diesem Land großgeworden. Es ist auch mein Selbstverständnis, auch wenn ich nicht aus einer Arbeiterfamilie stamme. Ich sehe Freiheit grundsätzlich kritisch und empfinde Freiheitskämpfer wie Männer, die mit allen Frauen schlafen wollen, alle Autos fahren wollen, alle Schokolade essen wollen und ihre Eltern nicht achten.

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USA – Abigal – Zu viel Freiheit?

Abigal © Fabian Rüther

Das Massaker von Denver bei der Premiere von „The Dark Knight“ hat wieder einmal die Diskussion um schärfere Waffengesetze in Amerika angeheizt. Doch, wie nach jeder Tragödie, die mit einem zu liberalen Waffengesetz ihren Anfang hat, verlief sich auch diese schnell im Sand.

„Ein Sturmgewehr, zwei Glock-Pistolen, ein Jagdgewehr, mehr als 6000 Kugeln. Erlaubte Shopping-Tour eines 24-jährigen Studenten“ betitelte die BILD-Zeitung den Irrsinn. Die sogenannte liberale Gesetzgebung schafft die Grundlage, dass Bürger Waffen zum Selbstschutz besitzen dürfen – doch die Frage, die sich hier stellt, ist eher, warum solche Möglichkeiten derartig ausgenutzt werden. Ein Zeichen dafür, was geschehen kann, wenn dem Menschen zu viel Freiheit gelassen wird?

Die blanken Zahlen sind eindeutig: Die USA hatte 2010 mehr als 15 Mal so viele Opfer durch Schusswaffendelikte im eigenen Land als durch ihre Auslandseinsätze und Kriege zusammen:

„Zahl der 2010 im Irak gefallenen oder verunglückten US-Soldaten: 60

Zahl der 2010 in Afghanistan gefallenen oder verunglückten US-Soldaten: 499

Zahl der 2010 in den USA durch Schusswaffen getöteten Menschen: 8775“

Quelle: Band Eins – Thomas Schmelzer

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Dies sind nur drei von insgesamt 70 Beispielen aus dem Buch. Wer sich für die anderen interessiert, bekommt auf Behance einen weiteren Einblick.

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