07. September 2013 Lesezeit: ~3 Minuten

Isländische Kirchen mit der Lochkamera

Island – nach drei Wanderurlauben und einer dreimonatigen Freiwilligenarbeit in Nationalparks schon fast meine zweite Heimat. Landschaften, die mein Innerstes berühren und alle Sorgen vergessen lassen. Refokussierung auf den Moment, auf Erde, Wasser, Feuer, Himmel, Wind, Licht.

Licht – im Sommer fast 24 Stunden lang. Fast jede Sekunde ein neuer Himmel, fast jeden Tag drei Jahreszeiten, ständig ein trällernder oder schreiender Vogel in der Nähe. Viel Platz, reinstes Wasser, sauberste Luft – das ist Island. Für jeden Wanderer und Fotografen ein Traum. Doch glücklicherweise nicht jedermanns Sache.

Ólafsvíkurkirkja, Ólafsvík, Snæfellsnes © Christoph Höhmann

Auf meinen Reisen in das nordwestlichste Land Europas war ich überwiegend an einer Abbildung der Landschaften interessiert. Parallel sammelten sich in meinem Kopf aber immer mehr Bilder von skurrilen Kirchen in Dörfern und Städten an. Mir wurde klar, dass es sich nicht um vereinzelte „Perlen“ handelt. Eine Fotoidee war geboren.

Mithilfe einer Webseite, die auf einer Landkarte alle isländischen Kirchen mit Bild verzeichnet, habe ich mir einen fotografischen Ablaufplan erstellt. Zielsetzung war es, etwa 30 Kirchen in zehn Tagen aufzunehmen. Dabei habe ich mich auf den Raum Reykjavík, die Halbinsel Snaefellsnes und zwei Ortschaften im Norden beschränkt. Eine zukünftige Reise könnte dann den Süden und Osten Islands und die abgelegenen Westfjorde abdecken.

Blönduóskirkja, Blönduós © Christoph Höhmann

Seit ich um die Jahrtausendwende eine hölzerne Lochkamera für Rollfilm mit verschiedenen Lochdurchmessern und Zoom gebaut habe, hat mich diese faszinierende und ursprüngliche Aufnahmetechnik nicht mehr losgelassen. Es folgte der Bau einer handlichen 4×5“-Lochkamera mit Superweitwinkel, einigen Keksdosen mit Fotopapier als Medium und umgebautem Gehäusedeckel für Kleinbild-SLRs.

Jahrelang träumte ich von einer begehbaren Lochkamera, in der die Außenwelt auf einer matten Glasplatte zwischen Loch und Betrachter abgebildet wird. Diesen Traum erfüllte ich mir 2012. Momentan steht die Kamera im Garten meiner Mutter.

Der Charme von Camera-Obscura-Aufnahmen erschien mir als sehr passend für das Kirchenprojekt. Zum ersten Mal benutzte ich eine Hybridtechnik: Die Lochblende auf einer digitalen Kleinbild-SLR. Die üppigen und kantigen Gebilde wirken dadurch noch surrealer und beinahe bedrohlich. Bäume und Himmel werden weich, die Monumente umso brachialer.

Hólaneskirkja, Skagaströnd © Christoph Höhmann

Als ich per Anhalter die Kirche eines abgelegenen Dorfes ansteuerte, gab mir ausgerechnet der Manager ebendieser Kirche eine Mitfahrgelegenheit. Er nannte mir den Grund für die teuren Projekte: Die Kirchen wurden in den letzten 50 bis 60 Jahren gebaut. 1918 wurde Island unabhängig von Dänemark, 1944 wurde die isländische Republik ausgerufen.

Seitdem wuchs der Wohlstand in dem bis dahin armen Land stetig. Es floss viel Geld in die Errichtung neuer, andersartiger Kirchen. Außerdem spiegeln die Bauten die sprudelnde Kreativität, den Ehrgeiz und die Aufgeschlossenheit gegenüber dem Neuen wider. Eigenschaften, die das isländische Volk definitiv für sich verbuchen kann.

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