16. April 2013 Lesezeit: ~4 Minuten

Alles oder Nichts?

„Wenn weniger mehr ist, ist nichts dann alles?“ Diesen Ausspruch des niederländischen Architekten Rem Koolhaas fand ich so interessant, dass ich ihn gern auf meine fotografischen Arbeiten beziehen wollte.

Nun ist es natürlich wenig sinnvoll, „nichts“ abbilden zu wollen. Aber ich habe den Ausspruch so interpretiert, dass eine deutliche Reduktion dessen, was man abbilden könnte, gleichzeitig ein Mehr an Ausdrucksmöglichkeiten bietet.

Das fand ich sehr interessant, weil bis dahin mein bisheriges Hauptthema – die Fotografie von verlassenen Orten – eine andere Herangehensweise erforderte.

© Jörg Rüger

Mit Koolhaas‘ Ausspruch im Hinterkopf ziehe ich also los und suche mir meine Motive. Ich fokussiere mich dabei auf die Architektur oder architektonische Details.

Das Schöne daran ist, dass man diese wirklich überall findet. Ich trete auf die Straße und schon kann es losgehen: Fassaden, Mauern, Zäune, Wände und vieles andere mehr.

Ich bin mir aber gar nicht sicher, ob es denn Architekturfotografie ist, was ich da mache. Denn streng genommen hat diese Spielart der Fotografie eigentlich eher dokumentarischen Charakter.

© Jörg Rüger

Das ist es aber nicht, was ich möchte. Mir ist es nicht wichtig, das große Ganze so abzulichten, wie es jeder sieht. Ganz im Gegenteil, ich möchte mit der Auswahl von geeigneten Bildausschnitten die Motive auf Flächen, Formen, Farben und Strukturen reduzieren und damit das Gesehene abstrahieren.

Die Architektur in meiner Stadt bietet mir viele Möglichkeiten für solch eine Umsetzung. Bei einigen Motiven erkennt man dann noch, um welche Sachen es sich handelt, bei vielen aber auch nicht.

Das ist mir aber auch nicht wichtig, wenngleich die Verfremdung nicht mein eigentliches Ziel ist. Mir geht es darum, mit dieser Art der Fotografie eine veränderte Wahrnehmung der Objekte zu erreichen.

© Jörg Rüger

Die Motive werden hierdurch zu etwas Neuem und erhalten eine Eigenständigkeit. Das Haus, das Dach, das Fenster – alles bekommt eine neue Funktion, indem es zum Fotomotiv wird.

Die so fotografierten Objekte bieten Raum für Assoziationen und erhalten für jeden Betrachter eine andere Aussage oder entfalten eine andere Wirkung. Vielleicht enthalten sie auch keine Aussage, sondern werden nur als schön oder interessant empfunden.

Wenn es mir gelingt, das Interesse des Betrachters zu gewinnen, die Aufmerksamkeit auf ein Foto zu lenken, dann bin ich zufrieden. Und es freut mich, wenn ich dem einen oder anderen mit einer Aufnahme ein Rätsel aufgebe und ihn so zu einer weitergehenden Auseinandersetzung mit dem Motiv anrege.

Diese mittelbare Interaktion mit Betrachtern meiner Bilder macht für mich auch einen der Reize der Fotografie aus.

© Jörg Rüger

Wenn ich also für diese Art von Aufnahmen losziehe, dann habe ich meistens keine konkrete Idee im Kopf, bestenfalls vielleicht einen Ort, an den es mich zieht. Ich bereite solch eine Tour auch nicht weiter vor, weder gedanklich noch konzeptionell.

Wenn ich erst einmal fündig geworden bin, dann entwickelt sich die Sache meist von allein. Ich fange vorsichtig an, zu fotografieren, taste mich an das Motiv oder die Motive heran und dann passiert oft etwas, was für mich den ganz großen Reiz an der Fotografie ausmacht:

Die Sache bekommt eine eigene Dynamik, ich überlege nicht mehr lange, was ich fotografiere, ein Motiv ergibt das nächste und ganz schnell nimmt mich dieser Prozess gefangen und ich merke gar nicht, wie sich meine Speicherkarte füllt.

© Jörg Rüger

So können dann ganz schnell ein paar Stunden ins Land gehen. Das merke ich dann meist erst, wenn das Licht verschwindet oder die Speicherkarten an ihre Kapazitätsgrenzen kommen. Am Ende steht dann ein tiefes Gefühl von Zufriedenheit.

Zuhause geht es dann am Rechner weiter, wobei das Motiv für mich die Art und den Umfang der Bearbeitung vorgibt. Meistens bearbeite ich nur sehr wenig. Ich ziehe Belichtung und Kontraste an, schärfe etwas nach, korrigiere stürzende Linien und passe vielleicht auch mal den Bildausschnitt an; das sehe ich ganz undogmatisch.

© Jörg Rüger

Für mich gehört die Ausarbeitung einer Aufnahme am Rechner als zweiter Schritt in dem Prozess dazu. Ganz am Ende steht dann die Präsentation der Aufnahmen, denn wie schon ausgeführt ist mir ein Austausch über die Sachen, die ich mache, irgendwie wichtig.

Und anders würde ich ja beispielsweise nicht erfahren, ob ich mit meiner Umsetzung des eingangs erwähnten Zitats richtig liege: Ist weniger an dieser Stelle tatsächlich mehr?

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