25. Januar 2013 Lesezeit: ~11 Minuten

Im Gespräch mit Astrofotograf Sylvain Girard

Heute nehmen wir uns wieder einem fotografischen Genre an, das kaum verbreitet, aber deshalb mitnichten weniger interessant ist. Wer hat nicht schon einmal einen Moment erlebt, in dem er fasziniert in die nächtlichen Weiten des Himmels geschaut hat, in denen Abermillionen Sterne und Galaxien zu sehen sind?

Genau diesen, weit entfernten Phänomenen nimmt sich der Franzose Sylvain Girard an, der etwas aus dem Nähkästchen über Philosophie und auch Technik plaudert.

Um in den optimalen Genuss seiner Fotos zu kommen, empfehlen wir dringend, die Bilder ganz groß in der Lightbox zu betrachten, da die verkleinerte Anzeige hier leider bei den besonders detaillierten Bildern zu Artefakten führt!

Hallo Sylvain. Danke, dass Du Dir die Zeit für ein Interview mit uns nimmst. Zuerst, erzähl uns doch mal ein bisschen was über Dich: Wer bist Du, was machst Du?

Ich bin ein Astro- und Landschaftsfotograf. Schon seit meiner Kindheit war ich von Astronomie begeistert. Mein erstes Teleskop hatte ich im Alter von 12 Jahren. 2006 kaufte ich mir dann eine DSLR für Astrofotografie.

Sie ließ mich auch die normale – taghelle – Welt neu entdecken und meine Liebe für Natur und das Wandern brachten mich zur Landschaftsfotografie. Nun, wenn der Himmel klar und ohne Mond ist, fotografiere ich Objekte, die tief im Himmel versteckt sind. Und in der übrigen Zeit wandere ich in den Bergen und betreibe dort Landschaftsfotografie.

Warum Astronomie? Was fasziniert Dich an Sternen und Nebeln?

Das ist eine sehr gute Frage! Tatsächlich weiß ich es nicht so richtig. Ich denke, ich war schon immer fasziniert von Dingen, die dahinter sind: Hinter einem Wald, hinter einem Berg, hinter dem, was meine Augen sehen können. Die Unermesslichkeit des Universums bietet eine riesige Anzahl an Möglichkeiten.

Wenn wir mit den Augen durch ein Teleskop eine Galaxie betrachten, sehen wir nur einen undeutlichen, verschwommenen Punkt. Das ist weit entfernt von dem Anblick, den ein Foto bietet. Dieser undeutliche Punkt wird von Billionen von Sternen geformt. Aktuelle Erkenntnisse zeigen, dass die meisten Sterne auch Planeten haben, einige von ihnen könnten bewohnbar sein. Wie viele Zivilisationen könnten da draußen sein? Und das ist nur ein Beispiel.

Anders als die meisten anderen fotografischen Genres hat die Astronomie nur einen einzigen Himmel, in den wir alle hinaufschauen und es gibt auch nur eine Perspektive dafür. Fühlst Du diese Grenzen? Gibt es Dinge in der Astrofotografie, die das ausgleichen?

Ja, manchmal nehme ich diese Grenzen wahr und frage mich, was ich wohl tun werde, wenn ich einmal jedes Objekt fotografiert haben sollte, das ich fotografieren kann. Aber wenn man bedenkt, dass ich eine ganze Nacht für ein einziges Foto brauche, habe ich noch viel Arbeit vor mir!

Die wichtigste Einschränkung für mich ist der künstlerische Aspekt. Astrofotografie ist ziemlich technisch und es gibt wenig Raum für künstlerische Überlegungen. Man kann nicht mit Tiefenschärfe spielen, weil alle Objekte praktisch in der Unendlichkeit angeordnet sind und die Kompositionen etwas simpel sind.

Meistens besteht die Komposition daraus, das jeweilige Objekt in der Mitte des Bildes zu platzieren. Ich versuche, mit Kompositionen zu spielen, indem ich die Bildgegenstände außerhalb der Mitte positioniere, die Drittel-Regel anwende oder mit etwas anderem optisch ein Gegengewicht ins Spiel bringe. Eine kleine Galaxie in der unermesslichen Weite eines Sternenfeldes oder ein Nebel inmitten von Staub, zum Beispiel.

Die Deep-Sky-Fotografie kann spezialisiert werden. Was ich tue, nennt sich Wide-Field-Abbildung. Ich benutze kurze Brennweiten, um große Teile des Himmels aufzunehmen. Nunja, man sollte es vom astrofotografischen Standpunkt aus bewerten, denn die Brennweiten, die ich benutze – 387mm und 530mm – sind für die traditionelle Fotografie natürlich schon sehr lang.

Einige Astrofotografen benutzen Filter, um Falschfarbenaufnahmen zu machen, andere nutzen lange Brennweiten, bis zu mehreren Metern, um detaillierte Bilder von kleinen Objekten wie Galaxien und planetarischen Nebeln zu machen. Der Fortschritt der digitalen Abbildungstechniken erlaubt uns, Bilder zu machen, die selbst für professionelle Observatorien vor 10 oder 15 Jahren völlig unmöglich waren. Wir entdecken also Teile des Himmels ganz neu.

Wie bereitest Du eine Session vor? Wie wählst Du Deine Motive aus?

Ich wähle meine Motive vor allem abhängig von der Jahreszeit. Man kann Orion nicht im Sommer fotografieren, weil er einfach nicht sichtbar ist. Der Frühling ist die Galaxien-Jahreszeit und der Sommer ist am besten für Nebel und die Milchstraße geeignet. Das Zielobjekt muss für eine möglichst lange Zeitspanne der Nacht sichtbar sein.

Ich benutze auch Astronomie-Softwares wie Cartes du Ciel, WIKISKY oder Microsoft WorldWide Telescope, um meine Zielobjekte auszusuchen, zu planen, wie ich sie ins Format setze und um ihre Sichtbarkeit zu überprüfen.

Wenn der Neumond sich nähert, beginne ich, das Wetter im Auge zu behalten. Wenn der Himmel klar ist, packe ich meine Ausrüstung ins Auto und fahre zu einem meiner für Astrofotografie tauglichen Orte in den Bergen, wo es keine Lichtverschmutzung gibt.

Wahrscheinlich ist die eigene Ausrüstung in der Astrofotografie wichtiger als in vielen anderen Genres. Hast Du ein paar Tipps für Anfänger?

Ja, die Ausrüstung ist wichtig und kann auch schnell teuer werden. Die Qualität des verfügbaren Himmels und die Erfahrung des Astrofotografen kann auch große Unterschiede machen. Aber man kann mit einem relativ günstigen Teleskop anfangen. Ein 150/750mm Newton-Teleskop mit parallaktischer Montierung und eine günstige DSLR sind ein guter Anfang für die Deep-Sky-Fotografie. Damit habe ich auch angefangen.

Man kann es gut schrittweise aufbauen: Man beginnt erst damit, für ein paar Hundert Euro ein Teleskop zu kaufen und Erfahrung in der Beobachtung astronomischer Phänomene im Allgemeinen zu sammeln. Ich denke, dass es sinnvoll ist, eine solide Erfahrung in der Beobachtung zu haben, bevor man mit der Fotografie beginnt.

Danach versucht man sich am Fotografieren mit der DSLR, die man schon hat oder kauft sich eine günstige. Alles, was man an diesem Punkt noch braucht, ist ein Fotoadapter vom Teleskop auf den T2-Anschluss und ein T2-Adapter auf das eigene Kamera-Bajonett.

Wenn man dann immer noch der Astrofotografie verfallen ist, wird man wahrscheinlich die parallaktische Montierung gegen eine bessere austauschen, da sie der wichtigste Teil in der Abbildungskette ist. Danach wird man seine DSLR modifizieren, indem man den Infrarot-Filter entfernt, ein Autoguider-System (Anm.: zum Nachziehen bei langen Belichtungszeiten) nachrüsten, das billige Newton-Teleskop gegen einen High-End Apochromat-Refraktor austauschen, die DSLR durch eine teure Kamera mit CCD-Sensor ersetzen…

Nunja, wenn man noch Geld hat. Man sollte nicht vergessen, dass auch hier, wie in jedem anderen Genre, die Ausrüstung nicht den ganzen Job macht. Es braucht immer noch Feineinstellung und die Bearbeitung nimmt einen guten Teil der Zeit ein, die man braucht, um ein Bild zu machen.

Der Himmel ist auch sehr wichtig. Alles ist viel schwieriger, wenn man in einer Stadt lebt und nicht bereit ist, stundenlang zu fahren, um einen Platz zu finden, an dem der Himmel überhaupt dunkel genug ist.

Wie sieht’s mit der Nachbearbeitung aus? Welche Rolle spielt sie in Deinen Arbeiten?

Dieser Punkt ist der wichtig in der Astrofotografie, fast so wichtig wie das Bildmaterial an sich. Aber wie in anderen Genres auch, wird man nie ein gutes Bild machen können, wenn die Ausgangsdaten schlecht sind. In der Astrofotografie sind die Raws hässlich, völlig verrauscht. Die Details sind im Rauschen begraben. Die Farben sind schlecht, speziell mit einer umgebauten DSLR.

Grundsätzlich besteht die Technik nun darin, während der Nacht sehr viele Belichtungen des gleichen Objekts zu machen. Anschließend wenden wir Kalibrierungsbilder auf jede Belichtung an und überlagern sie, da Überlagern (Anm.: alle Bilder werden übereinander „gestapelt“) Rauschen drastisch reduziert. Dafür benutzen wir spezielle Software wie Iris oder PixInsight.

Nachdem wir das gestapelte Bild erstellt haben, bearbeiten wir es, indem wir die Farben anpassen, Verläufe entfernen, die Dynamik erhöhen, noch einmal Rauschen reduzieren und so weiter. Die abschließende Bearbeitung kann mit traditionellen Bildbearbeitungsprogrammen wie Photoshop gemacht werden.

Ich verwende so einige Stunden auf die ganze Nachbearbeitung. Normalerweise fange ich direkt am nächsten Tag, nachdem ich nachts draußen unterwegs das Ausgangsmaterial aufgenommen habe, damit an. Danach lasse ich das Bild ein paar Tage liegen und schaue es danach noch einmal an, um zu sehen, ob meine Bearbeitung gut war oder nicht.

Meistens habe ich danach noch einmal Änderungen gemacht. Manchmal mache ich sogar die ganze Nachbearbeitung komplett neu. Ein Bild kann eine Menge Informationen enthalten: Schwache Objekte im Hintergrund, Details in den hellen Bereichen. Es ist schwer, alle diese Dinge auch zu zeigen, aber das ist der besonders interessante Teil an der Nachbearbeitung.

Lässt Du Dich auch von anderen Astrofotografen inspirieren und tauschst Dich mit ihnen aus oder ist es eher ein Genre voller Einzelkämpfer, die alle allein durch ihre Teleskope blicken?

Andere Astrofotografen sind auf jeden Fall eine gute Quelle für Inspiration. Ich mag es, auf ihren Webseiten zu stöbern, um neue Objekte für meine Fotos zu finden und zu sehen, wie sie die Dinge angehen. Auch ist es sehr hilfreich, Tipps, Tricks und Kritiken in Foren auszutauschen.

Manchmal passiert es auch, dass ich draußen zufällig andere Astrofotografen treffe, aber meistens bin ich allein. Wenn nicht, dann bin ich mit anderen Amateurastronomen unterwegs, die keine Fotos machen, sondern nur beobachten.

Das Gefühl von Einsamkeit ist schon dominant, aber manchmal fühle ich mich auch privilegiert, verrückt genug zu sein, um ganze Nächte allein draußen in der Dunkelheit zu verbringen.

Letzte Frage: Was sind Deine Träume und Pläne für die Zukunft?

Ich habe schon ein paar Träume in Sachen Astronomie verwirklicht, zum Beispiel habe ich ein starkes Refraktor-Teleskop in einen großartigen Himmel über den Alpen, wo ich wohne, richten dürfen. Ein Traum wäre, es auf die Plattform des Very Large Telescope in Chile zu stellen.

In den nächsten Jahren würde ich gern nach Chile oder Namibia reisen, um den Himmel der südlichen Hemisphäre zu entdecken. Die Atacamawüste ist der beste Platz auf der Erde überhaupt für Astrofotografie. Ich träume davon, eine große Mosaikaufnahme des ganzen Orion-Sternbildes zu machen.

Ich wünsche mir mehr Gelegenheiten, um rausgehen und Astrofotos machen zu können. Ich habe angefangen, ein paar meiner Astrofoto-Abenteuer mit Zeitraffer-Sequenzen aufzunehmen. Und ich würde gern mehr Inspiration für meine Landschaftsfotografie bekommen.

Danke, Sylvain!

Ich habe das Interview mit Sylvain auf Englisch geführt und anschließend ins Deutsche übersetzt.

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