01. November 2012 Lesezeit: ~10 Minuten

Im Gespräch mit Josef Schulz

Den Fotografien von Josef Schulz ist eine seltsam malerische Qualität eigen. Virtuos verwischt er mit ihnen die Grenze zwischen dem realen und dem künstlich erzeugten Bild. Darüber, welche Gedanken und Ideen seiner Arbeit zugrunde liegen und wie er die Fotografie mehr als bildgebendes denn als abbildendes Verfahren versteht, habe ich mich mit ihm unterhalten.

Hallo Josef. Schön, dass ich Dich für ein Interview gewinnen konnte. Erzählst Du uns ein bisschen was über Dich und wie Du zur Fotografie gekommen bist?

Ich habe, nachdem ich mich entschlossen hatte, mich der Fotografie zu widmen, an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Bernhard Becher und später auch bei Prof. Thomas Ruff studiert.

Mein Entschluss, mich der Fotografie zu widmen, kam relativ spät. Ich war zwar schon immer an Kunst interessiert, aber mir fehlte das passende Medium; erst, als ich mit Anfang 20 mit Fotografie in Berührung kam, stand meine Entscheidung fest, Kunst zu studieren.

Zu dieser Zeit gab es relativ wenige künstlerisch ausgerichtete Fotostudiengänge, mit der Wahl der Kunstakademie war ich aber sehr zufrieden. In der ersten Zeit habe ich relativ viel schwarzweiß fotografiert, aber im Laufe der Zeit hat sich mein Interesse zugunsten der Farbe verlagert.

Ein Blick in Deine Vita vermittelt den Eindruck, dass Dein Weg in die Kunstwelt seitdem recht gerade verlief. Ist das so und wenn ja, inwieweit hat Dir da das Studium an der Kunstakademie geholfen?

Ich bin mit der Situation, weltweit ausstellen zu dürfen, sehr zufrieden. Die künstlerische Tätigkeit impliziert schließlich auch das Zeigen dieser Arbeit.

Jede Ausbildungsstätte wird aufmerksam beobachtet, dies zeigen ja auch die Besuchszahlen bei den Tagen der offenen Ateliers in den Hochschulen, aber ich glaube, dass es eine Wellenform bei der Präsenz einer Hochschule gibt, aktuell werden, glaube ich, eher andere Hochschulen in Deutschland fokussiert.

Diese erhöhte Aufmerksamkeit hat meiner Meinung nach mit der aktuellen Qualität der Arbeiten einer Hochschule zu tun, dies zieht in Folge weitere gute Studenten an, die sich gegenseitig im besten Sinne „anspornen“ bei dieser hohen Qualität zu bleiben.

Irgendwann erreicht diese Entwicklung aber einen Einbruch, meist durch Wegfall eines Professors oder einer Professorin. Bis ein Nachfolger diese Arbeit aufnehmen kann, vergeht im Hochschulalltag meist zu viel Zeit. In der Zwischenzeit bilden sich dann Zentren an anderen Hochschulen.

Ich war in einer solchen Zeit des Aufbruchs gerade an der Akademie; dies hilft sehr, seine eigene Arbeit zu präzisieren. Gleichzeitig muss aber die Arbeit auch in einem zeitgenössischen Kontext stehen.

Das sind ziemlich gute Beobachtungen und Erkenntnisse. Josef, Deine Bilder haben eine starke Raumwirkung. Gerade bei Deiner Arbeit „terraform“ fasziniert, dass es eigentlich keine offensichtlichen Maßstabsindikatoren im Bild gibt und doch klar ist, dass es sich hier um kolossale Gebilde handelt. Was ist der Grund dafür, dass Du keine Menschen abbildest?

Das ist eine spannende Frage, die uns direkt zu den Möglichkeiten der Fotografie bringt und zu unserer Interpretation dieser Bilder.

Wir sehen seit jeher die Fotografie als Abbildung unserer Realität, als Dokument. Diese Funktion der Fotografie ist für mich Ausgangspunkt für einige Serien; mit einigen wenigen Fragen an die Fotografie selbst.

Was passiert denn, wenn wir dem Bild den Maßstab, die Relationen entziehen?

Können wir immer noch dieses Bild lesen oder verwirrt es uns eher? Ich bin selbst immer wieder erstaunt, wie wenig man einem Bild entziehen muss bzw. verändern kann, um eine gänzlich neue Aussage zu erhalten.

Schon unserer täglicher Umgang mit Fotografie zeigt dies, ein Retrobild mit der Hipstamatic App kann jeder von uns als solches wahrnehmen, nur wenige lassen sich vom vermeintlichen Charme des Vergangenen täuschen.

Mir geht es bei meinen Arbeiten auch um die Untersuchung, wo man die Grenze der Fotografie zieht.

Für mich ist die Fotografie eher auch als bildgebendes und weniger als abbildendes Verfahren wichtig. Als Endprodukt sollte dann ein möglichst faszinierendes Bild stehen.

Die Fokussierung auf Fotografien ohne Menschen hat mit der Tatsache zu tun, dass sobald Menschen auf den Bildern auftauchen, sich der Fokus unserer Betrachtung auf den Menschen richtet.

Ich bin eher an unserer Umgebung interessiert, an den Spuren, die wir hinterlassen.

Reist Du viel?

Das ist unterschiedlich, es gibt Jahre, da bin ich, abhängig vom Projekt, sehr oft unterwegs. „Übergang“ war das reiseintensivste davon, ich komme damit fast an 50.000 km plus Flüge, aufgeteilt in etwa einwöchige Trips.

Für „poststructure“ war ich länger am Stück unterwegs; sieben Wochen quer durch die USA. Es war ein sehr schöner Einblick in die Regionen abseits der Großstädte.

Meine Hauptarbeit findet aber im Atelier statt, dort verbringe ich die meiste Zeit, viel Laborarbeit und natürlich Bildverarbeitung. Geschätzt nimmt die Fotografie allein vielleicht 20-30 % der Zeit in Anspruch.

Welche Aufnahmetechnik(en) nutzt Du und wie verarbeitest Du das Bildmaterial anschließend weiter?

Seit vielen Jahren ist das Großformat mein Standard, ich fotografiere meist auf 4×5 Inch, mit einer Arca Swiss, viel seltener mit einer 8×10 Inch.

Bis vor Kurzem habe ich häufig auf Negativmaterial fotografiert, Prints auf 30×40 cm oder größer angefertigt, diese dann eingescannt und digital bearbeitet.

Der letzte Schritt ist dann die Ausbelichtung auf Fotopapier. Manchmal habe ich aber auch direkt Dias eingescannt.

Dieses Verfahren habe ich auch gewählt, um eine Art malerischer Qualität zu erreichen, das fotografische Korn wird gebrochen und es verbleiben reine Farbflächen.

Ich mag diese Art von stiller Auseinandersetzung mit dem Motiv über die Mattscheibe einer Großformat-Kamera und würde es sehr vermissen.

Inzwischen wird dieser analoge Ansatz relativ schwierig, meine favorisierten Filme sind entweder nicht mehr da oder haben ihre Eigenschaften verändert, mein Lieblingsfotopapier gibt es nicht mehr.

Für die Zukunft schließe ich nichts mehr aus, mein aktuell letzter Kauf war eine Nikon D800E, die ich vom Chip her überragend finde.

Für meine langsame Arbeitsweise ist sie hervorragend geeignet, aktuell ist aber die Frage sehr akut, welche Objektive überhaupt in der Lage sind, dieses Potential abzurufen. Für Tipps bin ich dankbar, auch Mittelformat-Varianten sind willkommen.

Für die Zukunft könnte ich mir eine variable Strategie vorstellen, die auch noch die analoge Welt mit einschließt.

Du verkaufst Deine Kunstwerke ja in Editionen. Wie ist Dein Standpunkt zur Limitierung von Bildern? Beziehst Du die Limitierung generell auf das Motiv oder nur auf eine bestimmte Abzugsgröße?

Als Fotograf bzw. Fotokünstler muss man sich grundsätzlich die Frage stellen: Wie kann ich sicherstellen, dass ich diese Arbeit langfristig durchführen kann? Für mich hat sich das Modell Galerie plus Fotokünstler angeboten.

Die Limitierung einer Arbeit finde ich grundsätzlich okay, sie sichert den Wert der Arbeit ab, die nachträgliche Erweiterung einer Edition würde den Wert einer Arbeit verwässern und das Vertrauen des Sammlers in den Künstler schmälern.

Bei meinen Arbeiten gibt es normalerweise pro Arbeit eine Edition von sechs in einer einzigen Größe, mit Ausnahmen: Bei „übergang“ gibt es nur einige Arbeiten in großer Größe, die komplette Serie ist in einer kleineren Größe (Auflage zwölf) erhältlich. Bei „terraform“ gibt es zwei Größen, bis zu einer Gesamtauflage von sechs.

Du arbeitest sehr konzeptuell. Wie entwickelst Du ein Thema? Was inspiriert Dich zu einer neuen Serie und welche Rolle spielen dabei Deine bisherigen Arbeiten?

Ich versuche, vor Beginn einer Serie ein Grundgerüst festzulegen ‒ dies kann thematisch, aber auch visuell sein ‒ und teste dann mit ein bis zwei Motiven vorab, ob meine Idee funktioniert.

Bei der jeweiligen Serie versuche ich dann die Orte vorab zu bestimmen, an denen ich entsprechende Motive finden könnte.

Es kann aber auch der Zufall sein, indem ich eine Fotoreise unternehme und vor Ort schaue, ob ich entsprechendes Material finde.

In der Phase der Nachbearbeitung verändert sich das Konzept meist noch relativ stark.

Die Inspiration ist eine zentrale künstlerische Frage, jeder hat da sicherlich eine andere Strategie.

Ich sammele häufig Ideen auf Reisen oder in Zeiten, zu denen ich nicht in einem Projekt stecke. Es ist eher selten, dass mir Neues beim konzentrierten Arbeiten an einer Serie einfällt.

Ich versuche nicht, meine bisherigen Serien in einer zukünftigen Arbeit zu spiegeln, aber mir ist bewusst, dass ich eine Arbeits- und Sichtweise entwickelt habe, die sich durch meine Fotografien durchzieht.

Als ein von außen Draufschauender kann ich das absolut bestätigen. Josef, zum Abschluss unseres Interviews hätte ich von Dir gern noch gewusst, was Schönheit für Dich ist und wie wichtig sie für Deine Arbeit ist.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon einmal ein Foto mit dem Begriff „Schönheit“ in Verbindung gebracht habe und wenn ja, dann würde es eher dem Motiv selbst gelten.

Eine künstlerische Arbeit sollte neben der ästhetischen Ebene die inhaltliche nicht vergessen. Visuell suche ich die Herausforderung, mit minimalen Mitteln ein spannendes Bild zu schaffen.

Das Streben nach einem idealem Bild bleibt aber glücklicherweise unerreicht, ansonsten müssten wir unsere künstlerischen und gestalterischen Bemühungen einstellen.

Josef, ich danke Dir für dieses Interview und bin gespannt auf Deine zukünftigen Projekte.

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Wer mehr von Josefs bisherigen Arbeiten sehen möchte, sei an dieser Stelle eingeladen, sich seine Webseite anzuschauen.

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