19. Juni 2012 Lesezeit: ~12 Minuten

Im Gespräch mit Grit Siwonia

Es ist ein warmer Sommertag, der Wind spielt mit der weißen und wattigen Pappelwolle, die dieser Tage durch die Stadt schweben und ein Mann mit einem Kakadu auf der Schulter steigt vor mir aus der U-Bahn.

Hier, das ist Berlin und ich bin auf dem Weg zu Grit Siwonia. Sie hat mich eingeladen, im Gepäck habe ich eine Flasche Cidre und ein bisschen Aufgeregtsein. Dass Letzteres aber überhaupt nicht nötig ist, das begreife ich, als mir Grit die Tür aufmacht, mich umarmt und mir eine fuchsrote Katze mit hoch erhobenem Schwanz den Weg zur Wohnung zeigt.

Wir setzen uns auf eine olivgrüne und hier und da leicht abgewetzte Couch mit dem Rücken zur Sonne, genießen den Cidre und den von Grit selbstgebackenen Kuchen, den einzigen den sie kann, sagt sie – eine sächsische Eierschecke. So lässt es sich entspannt quatschen und philosophieren.

Erzählst Du uns ein wenig von Dir und warum es Dich zur Fotografie getrieben hat?

Die schnörkellose Kurzfassung: Ich hatte damals eine Lebenskrise, war frisch getrennt – vom damaligen Leben und den darin enthaltenen Personen. Nenn es Einsamkeit. Ich brauchte Ablenkung, Bewegung. Ich habe mich fotografieren lassen – so, wie es üblich ist: Mir eine Fotografin ausgesucht, angeschrieben, hingegangen, ablichten lassen.

Ab diesem Tag wurde vieles anders. Die Sicht auf mich und die Menschen um mich herum. Claudia, die Fotografin, begleitet bis heute mein Leben. Es passierte etwas während dieses Shootings. Ein Veränderungsprozess begann. Damals war ich mir dessen allerdings weniger bewusst als heute.

Kommunikation ist das „Geheimnis“. Sie passiert ständig. Um uns herum – und wenn wir Glück haben, dann auch mit uns. Und die Kamera kann, so meine ich, insbesondere letzteres fördern. Sie kann Distanz und Nähe gleichzeitig schaffen. Ich sehe durch etwas hindurch, wenn ich fotografiere. Vielleicht ist es genau dieser Abstand, dieses bisschen Technik zwischen den Interagierenden, das dafür sorgen kann, dass man sich näher ist als sonst.

Hast Du dann gleich Menschen, also Freunde fotografiert oder wie begann es?

Ja, Fremde waren für mich anfangs weit weg. Für die Basics habe ich damals auch einen Volkshochschulkurs besucht. Mit Begriffen wie Blende und Belichtungszeit kann ich mittlerweile umgehen, ansonsten darf man mich nicht zu viel über Technik fragen.

Damals wusste ich noch nicht wirklich, wohin die Reise gehen soll, warum ich die Kamera so gern in der Hand halte. Ich habe ausprobiert und auf meinem Weg festgestellt, dass ich niemand sein werde, der im Tarnzelt sitzt und Tiere mit Eisspray besprüht, um ein tolles Libellenmakro zu machen. Da zieht mich nichts hin.

Grit fängt an zu lachen und die Katze auf meinem Schoß spitzt ganz kurz die Ohren.

Menschen zu fotografieren, so wie sie sind und zu Dir kommen, das war dann Dein Weg, ganz ohne Eisspray?

Ja, ich habe 2004 angefangen, war damals auch in einem Fotoverein in Dresden und habe mi Studiofotografie begonnen. Das war gut und wichtig, um sehen zu lernen, wie sich unterschiedliche Lichtsituationen auf Bilder auswirken können. Aber es war mir bald zu steril. Ich suche nach Umgebungen, in denen sich Menschen auch normalerweise bewegen – natürliche Umgebungen mit eben solchem Licht.

Du fotografierst ausschließlich hier bei Dir oder auch in fremden Wohnungen?

Ich fotografiere gern hier bei mir daheim, gern auch in anderen Wohnungen, wenn es sich anbietet. Generell allerdings lieber in geschlossenen Räumen als draußen. Das ist mir meist zu weitläufig, zu offen, zu wenig greifbar. Hier bei mir ist der Mensch einfach mehr da. Ich finde Räume spannender, auch lichttechnisch. Und ich mag Scheiben und Autos und die Lichter der Stadt, vor allem in der Dämmerung.

Benehmen sich Menschen in Räumen anders als draußen?

Ja, ich denke schon, weil man in Räumen viel mehr Nähe schaffen kann. Draußen sind immer Dinge, die unbewusst ablenken können – Geräusche, andere Menschen. Ich kann mich in Räumen besser konzentrieren und wenn ich Ablenkung beim Fotografieren brauche – zum Beispiel durch Geräusche: Musik! – dann kann ich sie selbst beeinflussen.

Während Sie erzählt, fällt mir auf, dass im Hintergrund Sigur Rós läuft, eine großartige Band und schnell schweifen wir vom eigentlichen Thema ab und unterhalten uns über die Band und Island an sich. Das Licht, das so unfassbar schön ist, dass man fast weinen mag. Oder über Reykjavik und kreative und wohlgekleidete Isländer, die niemals frieren.

Beziehst Du Deine Katzen auch mit ein, wenn Du fotografierst?

Also der auf Deinem Schoß… Grit zeigt auf den schwarzweiß gescheckten Kater, ist auf vielen Bildern einfach mit drauf – ungeplant. Er ist mein Menschenfreund, liebt jeden. Die Rote ist eine Diva, viel zu wuselig und sehr stolz und ein bisschen zickig. Ich glaube, sie ist zu eitel für Fotos. Ich habe noch eine wunderbare weiße Katze, die ich gern auf Bildern zeigen würde aber wie du siehst, die ist nicht hier, sie ist total schüchtern und hat sich versteckt. Sie hat meistens schon Angst, wenn sie meine große Kamera nur sieht.

Ich würde gern mehr mit Tieren arbeiten. Beispielsweise mit ganz vielen Schmetterlingen und einen Menschen einfach da hineinstellen. Schmetterlinge bewegen sich so schön. Das würde gerade gut passen, meine Bilder verändern sich gerade auch, glaube ich.

Inwiefern?

Meine Bilder sind sehr weiblich, sehr zart und schön und meistens auch sehr glatt.

Und das reicht Dir nicht mehr?

Ja, das ist mir zu wenig. Die Prioritäten haben sich mit der Zeit verändert. Mich langweilt mittlerweile Schönheit. Es ist einfach, einen schönen Menschen schön zu fotografieren. Ich sehe so viele Fotos von schönen Frauen und es ist immer gleich. Blende auf, Licht halbwegs im Griff, ein schönes Wesen vor der Kamera und fertig ist das Bild.

Ich bin übersättigt – auch von meinen eigenen Bildern. Keine Frage, ich mag die Bilder immer noch; aber ich will mehr. Menschen zu mir bitten, die etwas erlebt haben; die eine Kraft haben, die sie strahlen lässt, die einfach präsent sind. Oder auch schöne Menschen in einer Situation festhalten, in der die Schönheit nicht im Vordergrund steht.

Und es gab in letzter Zeit Begegnungen – zwei, drei Menschen in meinem Umfeld – die kommen zur Tür rein und es macht bäng! Ich weiß nicht genau, was es ist, aber die stehen in meiner Tür oder woanders und sind präsent, klar und dadurch schön.

Hast Du Menschen in extremen Situationen, wie Trauer, Zweifel oder Angst schon einmal fotografiert?

Ja – und es reizt mich wahnsinnig und ich habe selbst das Bedürfnis, mich in wirklich schlimmen Zeiten fotografieren zu lassen. Das ist nicht neu, ich kenne das von mir, obwohl ich mich ansonsten auch eher davor scheue, vor der Kamera zu sein. Jeder Mensch vor meiner Kamera befindet sich doch in einer bestimmten Lebenssituation.

Und da gab es durchaus schon Situationen, in denen Menschen beim Shooting geweint haben. Ich mag das und bin dankbar für so viel Vertrauen. Und ich lege in diesen Situationen die Kamera weg. Vielleicht sind das aber genau die Momente, für die ich fotografiere. Wenngleich diese Nähe, die dann mit möglicherweise vorher auch völlig fremden Menschen entsteht, auch Angst machen kann.

Nähe ängstigt Dich manchmal, aber bei extremen Situationen oder Gefühlslagen muss man erst recht wieder Nähe aufbauen, sich selbst überwinden. Ist Fotografie so eine Art Selbsttherapie?

Ja, für mich ist Fotografie immer noch eine Überwindung. Ich habe mich dadurch verändert, bin gewachsen und möchte kaum ein Shooting missen. Jedes Bild bringt auch mich ein Stück voran.

Man fühlt sich aber sofort wohl bei Dir und gut aufgehoben. Du schaffst schnell eine angenehme Nähe und Wärme.

Manchmal dauert es auch ein bis zwei Stunden, bis ich die Kamera überhaupt in die Hand nehme. Je nachdem, wie aufgeregt die Person ist. Ich bin jetzt auch aufgeregt.

Ich auch.

Siehste, das habe ich gemerkt.

Ich kraule ertappt der Katze über das Fell und weiße Katzenhaare verteilen sich auf meinem schwarzen Hemd.

Das Gespräch ist immer am wichtigsten, das, was die Menschen mitbringen. Das Fotografieren passiert nebenbei. Untergeordnet. Ebenso untergeordnet wie bei uns beiden heute die Fotografie als Gesprächsthema. Und das Tolle ist: Fast mein gesamter enger Freundeskreis besteht aus Menschen, die ich über das Fotografieren kennengelernt habe. Das sind Menschen, die ich in meinem „normalen“ Leben niemals getroffen hätte.

Verdienst Du eigentlich Dein Geld mit Deinen Fotos?

Nein, ich habe das Glück, dass ich nicht davon leben muss. Ich fotografiere, weil es mir gut tut und ich persönlich von einigen Begegnungen sehr profitiert habe. Wie gesagt, mein Freundeskreis wäre ohne die Kamera in meinem Leben ein völlig anderer. Ich fotografiere an den Wochenenden, wenn ich Zeit und Lust habe.

Aber ich wähle mittlerweile sehr genau aus, wen und wann ich fotografieren möchte. Die Wochenenden, an denen ich Zeit zum Fotografieren habe, sind meine mir mittlerweile heiligen Ruhephasen. Manche Shootings strengen mehr an, als dass sie entspannen. Das ist gar nicht negativ gemeint, aber es gibt Gespräche und Situationen, die auslaugen.

Vielleicht habe ich deshalb in letzter Zeit kaum völlig fremde Menschen fotografiert. Am Ende profitiere ich von den Begegnungen und nicht von den Bildern. Ich mag das, was die Menschen mitbringen, man lacht zusammen oder weint, geht danach – oder davor oder währenddessen – was essen und hat einfach einen tollen Tag. Es macht mich glücklich, wenn Menschen sich auf meinen Bildern mögen. Wenn ich das nach einem Shooting höre, ist das wie der Zuckerguss auf dem Kuchen.

Während ich das Interview abhöre und die Fragen und Antworten notiere, verschwinden unsere Stimmen immer mehr hinter der Musik. Die Stimme von Jónsi verdeckt unser Lachen, meine Fragen und ihre Antworten. Die Worte bleiben verhüllt, während die Musik anschwillt, nach oben treibt und dann plötzlich alles mit sich reißt, auch uns, ein bisschen.

Verrate mir ein Geheimnis.

Atmen. Wenn jemand verspannt ist – und das merkt man recht schnell, beispielsweise an hochgezogenen Schultern – dann versuche ich, den Menschen zum Atmen zu bewegen, manchmal auch so, dass er es gar nicht merkt. Das entspannt ungemein. Hast Du Dir mal ruhig schlafende Menschen angesehen? Meistens ist der Mund leicht geöffnet und sie atmen ruhig, tief und gleichmäßig.

Du hast über 6.000 Fans auf Deiner Facebook-Seite, macht Dir das manchmal Angst?

Ja, gelegentlich, weil ich es nicht kontrollieren kann. Da sehen über 6.000 Menschen meine Bilder und lesen, was ich schreibe. Ich freue mich über jeden einzelnen, dennoch fühle ich mich gelegentlich unwohl, wenn diese Nähe, die zwischen zwei Menschen beim Fotografieren entstand, auf einmal von so vielen Menschen gesehen werden kann. Vielleicht glaube ich, dass man dann auch ein wenig von mir sieht. Und vielleicht macht genau das mir diese Angst.

Schenkst Du mir einen abschließenden Satz?

Die schönsten Momente sind die, wenn ich die Kamera weglege, denn dann will ich den Moment damit nicht zerstören und nur in meiner Erinnerung festhalten.

Auf dem Aufnahmegerät bleiben zwei Stunden übrig, die ich nicht aufschreibe, sondern lösche. Wir haben uns über vieles unterhalten, ganz offen und direkt und vieles davon hatte überhaupt nichts mehr mit Fotografie zu tun und gehört in die Erinnerung an einen schönen und warmen Nachmittag mit Katzenschnurren und guter Musik.

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Wer nun neugierig geworden ist und mehr von Grits Arbeiten sehen möchte, der kann sich auf ihrer Webseite oder bei Flickr genüsslich mit seinen Augen austoben.