31. Dezember 2011 Lesezeit: ~13 Minuten

1 Jahr schwarzweiß, Quadrat & Straße.

Zugegeben: Es ist keine neue Idee, ein Jahr rückblickend zu beschreiben. Interessanterweise habe ich jedoch vor fast exakt zwölf Monaten ein Projekt begonnen, das ich bis heute verfolge. So bietet es sich erst recht an, zu reflektieren, was sich mir in einem Jahr Fotografieren erschlossen hat, respektive welche Fragen sich neu gebildet haben oder sogar unbeantwortet blieben.

Ich habe hin und her überlegt, ob ich meine Gedanken hier der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen soll. Ob es einen Mehrwert haben wird für den Leser, der Neues über die Fotografie wissen will, denn ich habe im letzten Jahr das Rad ganz sicher nicht neu erfunden.

So drängte sich die Frage auf: Was ist schon ein Jahr? Ein Jahr ist doch gar nix, eigentlich.

Zeit ist jedoch nur ein Faktor in dieser Rechnung. Ein weiterer – und in meinen Augen wesentlicher – ist der, wie viel man in dieser Zeit fotografiert. Und ich kann sagen: So viel und so häufig wie in den letzten zwölf Monaten habe ich bisher noch nie fotografiert. Dabei vergleiche ich mich nicht mit anderen, sondern lediglich mit mir selbst.

So viel war es nicht nur allein nach Klickzahlen in Form von Auslösungen, sondern auch die effektive Zeit an der Kamera: In Momenten stillen Erwartens neuer Fotografien, der Freude über einen Treffer oder das Herumtrotten in der Karlsruher Fußgängerzone, die Kamera am Anschlag. Ungefähr 600+ Bilder habe ich auf Flickr geladen und alle gehören für mich – ich betone: für mich – in die Kategorie tauglich.


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Doch nun mache ich einen Sprung in die Vergangenheit und zwar in den November 2010. Ich hatte ein Burnout hinter mir und das auch im Bereich der Fotografie. 2010 war das Jahr, in dem ich keine Lust mehr auf Landschaften hatte, aber auch keine neuen Ideen. Ich wollte weitermachen, wusste aber nicht wie oder wo. Und ich hatte keinen Bock mehr darauf, das fünhunderachtundsiebzigste Bild eines einzelnen Baumes im Sonnenuntergang zu machen – für die versierten Leser dieses Magazines keine Neuigkeit.

Doch dann kam der Umzug. Weg vom Land, rein in die Stadt. Tapetenwechsel, ein Neuanfang, der mir gut tat. Und alles andere als Landschaft, nämlich: Stadt. Buntes Leben auf der Straße, Autolärm, Vielfalt der Hautfarben, Sprachen und Akzente. Chaos, Schnelligkeit und vor allem: Menschen, Menschen, Menschen.

Ich hatte schon einmal in der Stadt gelebt, doch dieses „zweite Mal“ war wie – Achtung: Kitsch – Liebe auf den zweiten Blick. Mir gefiel die tosende Unordnung. Das Dreckige, Unsaubere, Nichtsoglattgebügelte. Kurzum: Ich fühlte mich und ich fühle mich bis heute: Pudelwohl.

Jedoch ist mir auch bewusst: Die Kraft der Abwechslung wird irgendwann nachlassen. Denn das, was man nicht (mehr) kennt, ist immer am interessantesten. So hatte Martina Mettner recht, als sie sinngemäß schrieb: „Der Bauer fotografiert die Kuh auf dem Lande nicht, der Städter schon.“ Bei mir verhielt es sich bloß umgekehrt, ich fotografierte in der Stadt, weil ich Dorf und Landschaft nicht mehr sehen konnte.

Doch die reine Freude war nur der erste Teil, die Vorraussetzung. Der zweite Teil, der auch vonnöten ist, heißt bei mir Struktur. Regelmäßigkeit, ein fester Rahmen, in dem ich mich austoben kann. „Stadt ist schön“ reicht da nicht, auch wann und wie musste festgelegt werden.

So machte ich mit mir selbst eine Vereinbarung. Und die sah so aus:

  1. Jeden Tag mindestes zehn mal den Auslöser betätigen.
  2. Schwarzweiß.
  3. Finales Bild in quadratischer Form.
  4. Stadt und Alltägliches.
  5. Erstmal ein Jahr lang.

Diese Vereinbarung machte ich nicht öffentlich, zumindest nicht in dieser präzisen Form. Solche Dinge behalte ich gern für mich, tüftle im Hintergrund in aller Ruhe etwas rum und zeige ab und zu ein Bild. So stehe ich nicht unter Druck, da ich keine Versprechungen gemacht habe. Innerhalb des Jahres habe ich die Bedingungen hier und da etwas angepasst, aber auch das ist kein Problem, wenn man so einen Deal nur mit sich selbst macht.

So begab ich mich also auf eine Reise mit der Kamera. Jeden Tag mindestens zehn Bilder. Auf der Straße und unterwegs. Im Quadrat. Schwarzweiß.

 
 

Schwierigkeiten

Nach einem enthusiastischen Start von zwei Monaten, in denen ich immer mehr als zehn Bilder pro Tag gemacht hatte und eigentlich alles super lief, begannen auch die inneren Kämpfe. Willst du wirklich immer schwarzweiß fotografieren? Warum beschränkst du dich auf das Quadrat? Ist das vielleicht nur ein Zwang? Und so viel fotografieren, was soll das bringen?

Manchmal hatte ich – wen wundert’s? – keine Lust zu fotografieren, auch wenn die ab dem dritten Klick meist von selbst kam. Eine Vereinbarung mit sich selbst zu treffen ist eine Sache, das dann auch umzusetzen aber eine ganz andere. Auf Farbfotos grundsätzlich zu verzichten und sich dem „stylischen Schwarzweiß“ zu verpflichten klingt zwar super, ist es aber nicht immer.

Es gab Momente, in denen ich am liebsten das ganze Projekt mitsamt Kamera in die Tonne getreten hätte. In denen ich dachte, Jo, pffft, schwarzweiß. Drauf geschissen. Ich mache ab jetzt wieder Farbe und Querformat. Schließlich wusste ja fast keiner davon.

Und nicht selten habe ich den Farbe-Schwarzweiß-Vergleich – meine Güte Farbe ist ja wunderwundervoll ich muss sofort nur noch Farbe machen oh da ist ein Einhorn – gemacht, um mich dann am Ende bis auf Ausnahmen doch wieder für schwarzweiß zu entscheiden. Dieses Vergleichen machen so ein Projekt weiß Gott nicht einfacher. Aber auch das gehört dazu.

Außerdem habe ich mir erlaubt, die Regeln der Vereinbarung zu brechen. So habe ich hier mal ein anderes Format benutzt, da mal eine Woche Pause gemacht oder gar ernsthaft Farbfotos ins Internet gestellt. Diese Lockerheit hat mir aber schlussendlich dabei geholfen, das Ding durchzuziehen. Geschätzte 95% aller Fotos (Hochzeitsfotos ausgenommen) entsprechen der abgeschlossenen Vereinbarung. Diese nun im Detail.

Jeden Tag mindestens zehn Fotos

Als erste Rahmenstruktur habe ich mir selbst die Aufgabe gestellt, mindestens zehn Fotos zu machen. Und ja, klar, ich hätte auch zehn Mal mit geschlossenem Objektivdeckel abdrücken können, aber darum ging es nicht. Ich wollte einen Richtwert haben, ein Minimum, das für mich machbar klang. Und das war es.

Denn – wie hier schon angesprochen – es blieb eigentlich nie bei den zehn Fotos. Meist kam, wie das Sprichwort sagt, „der Appetit beim Essen“ und als ich mal angefangen hatte, wollte ich so schnell nicht mehr aufhören. Es fühlte sich manchmal an wie ein Tanz mit der Kamera, in den ich eingrooven konnte und nach einer kurzen Weile lief es wie von alleine.

Das ging soweit, dass ich, wenn ich mal nicht fotografieren konnte, spürte, dass irgendetwas komisch war. Dass etwas fehlte. Und dieses Fehlen spüre ich bis heute, wenn ich mal längere Zeit nicht fotografiert habe.

Ich war schon immer jemand, der gern fotografiert hat, aber diesen engen Bezug zum Klick und zur Kamera hatte ich bisher noch nie. Außerdem werde ich mittlerweile kribbelig, wenn ich am Rechner nichts zu bearbeiten habe.

Gegen Ende diesen Jahres habe ich die Regelung dann umgeschmissen und statt täglich ein bisschen, lieber jeden zweiten Tag etwas länger fotografiert. Ohne Überwindungsprobleme. Es gehört dazu, wie das Frühstück nach dem Aufstehen. Ich brauche keine Inspiration, sondern ich weiß, was ich tun werde. Und auch, wie.


Schwarzweiß

Schwarzweiß spricht anders zu mir als Farbe. Warum, das kann und will ich gar nicht begründen. Ob ein Schwarzweißbild „mehr Emotionen“ transportiert oder nicht, ist mir gelinde gesagt, zu hochgestochen. Jedoch hält schwarzweiß auch ob seines historischen Werdegangs die Zeit an und allein das reichte für mich Ende 2010 als Grund aus, es einfach mal zu probieren.

So habe ich mein Kameradisplay auf der Rückseite der Kamera auf schwarzweiß gestellt, um vorausahnen zu können, wie das Finalbild aussehen wird. Diese Funktion hat es mir leicht gemacht, Farben zu ignorieren und schon bei der Bildüberprüfung vor Ort monochrom zu sehen. Es wäre mir wesentlich schwerer gefallen, bei schwarzweiß zu bleiben, hätte ich am Display noch die Farben gesehen.

In Lightroom war der erste Schritt immer, direkt beim Importvorgang das Raw gleich monochrom umzuwandeln. So habe ich nie ein Farbbild gesehen. Außer vor Ort mit den Augen, natürlich.

Manchmal habe ich auf das Machen eines Fotos deshalb verzichtet, weil die Farbe eine Leitkomponente war, ohne die das Bild nicht funktioniert hätte. Und manchmal habe ich mich im Nachhinein dagegen entschieden, ein Bild in Lightroom zu bearbeiten, weil es eben nur in Farbe gewirkt hätte.

Ein Beispiel? Vor zwei Wochen fotografierte ich ein knallgelbes Rad vor einer alten Wand. In Farbe wirkte das. Schwarzweiß hingegen überhaupt nicht. Ergo: Bild gelöscht. Und nein, ich habe da keine Hemmungen mehr und trauere den nichts gewordenenen Bildern keine Träne hinterher. Warum auch?

Nüchtern betrachtet hat mir die Jahres-Übung dabei geholfen, meine Fotografie etwas zu reduzieren. Eine Komponente (Farbe) wegzunehmen und dann zu gucken, was ich mit schwarzweiß so alles anstellen kann. Und das ist eine ganze Menge, wie ich feststellen durfte.

Quadrat

Ich mag quadratische Bilder. Seitdem ich fotografiere. Die vier gleich langen Seiten bringen eine Ruhe mit sich, die auf das, was innerhalb des Rahmens ist (also das Bild), wirken. Ich würde das Quadrat als beruhigend, friedlich und schlicht bezeichnen. Und als ein Fan von Minimalem habe ich über die Monate eine positive Beziehung zum Quadrat entwickelt.

Doch das ging nicht ohne Kämpfe. So gab es Zeiten, in denen ich jedes andere Format dem Quadrat vorgezogen hätte. Weil es nicht passte oder weil irgendein ganz ganz wichtiger Bestandteil des Bildes durch das Freistellen verlorenging.

Scheiß Quadrat, dachte ich manchmal. Da fotografierst du mit einundzwanzig Megapixeln ein Rechteck und schneidest mit eigener Hand bei jedem beschissenen Bild beinahe die Hälfte wieder raus. Super!

Doch meist hatten sich Ausfälle wie dieser spätestens am nächsten Tag erledigt, denn dann kamen neue Bilder und Möglichkeiten. Und oft gab ich mir einen Ruck und zog die Sache durch. Warum? Aus Prinzip. Und weil ich es gut finde, Sachen konsequent zu Ende zu bringen; auch, wenn es mal weh tut.


Stadt & Alltägliches

Im letzten Jahr war ich so häufig wie möglich auf der Straße und habe versucht, das, was ich dort interessant fand, aufzunehmen. Oft sind in meinen Bildern Menschen zu sehen, aber auch nicht immer.

Im Laufe der Monate hat sich auch herauskristallisiert, dass ich gerne Menschen im Kontext zeige – so, dass um sie herum genügend Platz für die urbane Architektur oder eine Allee mit Bäumen ist. Es hat etwas Zeit gebraucht, diese Vorliebe für mich klarzustellen, sie zu definieren. Doch seitdem ich mir darüber bewusst bin, fällt es mir leichter, genau diese Form der Menschenfotografie zu verfolgen.

Weiter habe ich mir die Freiheit gelassen, alles Mögliche zu fotografieren. Versucht, mich jedes Mal intuitiv auf das zu konzentrieren, was ich zum gegebenen Zeitpunkt interessant fand. Das hat mir genügend Spielraum gelassen und der war wichtig.

Denn mein Ziel ist es nicht, „klassischer Straßenfotograf“ (was auch immer das ist) zu sein, sondern herauszuarbeiten, was mir persönlich gefällt oder in einer Situation wichtig ist. So finden sich in meinen Fotos auch Dinge, nicht gar nicht so wirklich in das Bild der Straßenfotografie passen wollen. Und auch nicht müssen.

Erstmal ein Jahr lang

Nach ungefähr drei Monaten entschied ich mich, meine Vereinbarung auf ein Jahr auszuweiten. Denn ich merkte, dass ich noch viel mehr üben musste. Dieses Jahr ist jetzt um. Ich bin also eigentlich fertig mit meinem Projekt.

Ich könnte theoretisch mit meinem Projekt abschließen und etwas Neues anfangen. Doch ob ich das tue, weiß ich noch nicht. Im Moment sind für mich alle Optionen offen, eine neue Vereinbahrung mit mir zu treffen oder eine Verlängerung dranzuhängen. All das steht für mich in den Sternen und bis ich mir darüber im Klaren bin, werde ich erst einmal so weitermachen wie bisher.

Mein Projekt hat, neben den vielen Bildern, die ich zeigen konnte, auch einen anderen für mich sehr wesentlichen Effekt gehabt: Ich habe meinen optimalen Rhythmus gefunden, mir die Angewohnheit zugelegt, so oft wie möglich zu fotografieren. So ist dies für mich erst der Anfang. Und die Fortsetzung, die folgt 2012.

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