22. November 2011 Lesezeit: ~6 Minuten

Lappland – ein Wintermärchen

Noch nie habe ich solch eine Stille erlebt wie in Lappland. Mitten auf einem Tunturi (so werden die Berge in Lappland genannt), in völliger Dunkelheit um drei Uhr nachmittags bei etwa -25°C. Mit Schneeschuhen an den Füßen, ohne die das Fortkommen in der Eiswüste unmöglich wäre.

Ich bin etwas unruhig, denn in einem Umkreis von mehreren Kilometern ist keine Menschenseele. Als Mitteleuropäerin ist man an so etwas ganz und gar nicht gewöhnt. Nur unsere Kopflampen werfen zwei kleine Lichtkegel in die endlos erscheinende Dunkelheit und leuchten die hartgefrorene Schneeoberfläche an, die glitzert wie ein Teppich aus Brillanten.

Ich war das erste Mal in Lappland. Und ich möchte zurück, denn die Winterstimmung ist weder in Worte, noch in Bilder zu fassen. Während hier, in der grauen, matschig-nassen Winterzeit des Rhein-Main-Gebietes für mich kaum Weihnachts- oder Winterstimmung aufkommt, hat mich Lappland überzeugt, dass die kalte Jahreszeit doch atemberaubend schön sein kann.

Liegt im Winter in Südfinnland eine dicke Schneedecke, bäumt sich der Schnee nach Norden hin immer weiter auf, bis man das Profil der Landschaft unter den Schneemassen nur noch erahnen kann. Die Zweige der dünnen Tannenbäume, die aussehen wie große, weiße Kerzen, biegen sich unter der Last.

Das Autofahren auf den einsamen, oft kilometerlang schnurgerade durch den Wald verlaufenden Straßen kommt einem zuerst vor wie ein Tanz auf rohen Eiern – denn in Finnland wird nicht gestreut, sondern der Schnee nur grob von der Straße entfernt, so dass der Asphalt zentimeterdick mit Eis überzogen ist.

Dank der Spikes an den Winterreifen hat man aber, wie ich nach den ersten aufregenden und unsicheren Kilometern am Steuer gemerkt habe, einen guten Halt und ein sicheres Gefühl, außer man wird gerade von einem finnischen Auto mit 120km/h überholt, das einen in eine Wolke aus aufstäubenden Schnee einhüllt, sodass man für einige Sekunden den Verlauf der Straße nicht mehr erahnen kann.

In Nordfinnland begegnet man zwar selten Autos, dafür kann es aber passieren, dass ein paar Rentiere mitten auf der Straße stehen und sich auch von einem Auto nicht aus der Ruhe bringen lassen. Neben den (für mitteleuropäisches Sicherheitsempfinden) zu schnell fahrenden Finnen, sollte man also auch auf Rentiere gefasst sein!

Die Sonne zeigt sich ganz im Norden Finnlands im tiefen Winter nicht mehr über dem Horizont, Tageslicht und Dämmerung gibt es pro Tag nur etwa vier Stunden, von ca. 10 bis 14Uhr. In diesen wenigen hellen Stunden ist die Eislandschaft in ein unglaubliches Farbenspiel aus Pastellblau, -lila und -rosa getaucht, an dem man sich nicht satt sehen kann.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, meine Kamera auf allen Wanderungen bei mir zu haben. Ein Vorhaben, von dem ich schnell abließ, denn die Kälte ließ es nicht zu, ein paar Minuten zu verweilen und sich auf ein Motiv zu konzentrieren. So hatte ich meist nur die kleine Digitalkamera meines Freundes in der Tasche, um ein paar Fotos zu machen, falls der Akku nicht nach kurzer Zeit außerhalb der warmen Jackentasche versagte. Und ich beschloss, die märchenhafte Stimmung so gut wie möglich ohne viele Fotos in meinen Erinnerungen zu speichern.

Macht man in Lappland eine Winterwanderung, kann man sicher sein, niemandem zu begegnen, falls man sich nicht im Umkreis einer der wenigen frequentierten Skizentren befindet. Einfach zu Fuß wandern ist als Option ausgeschlossen, da der Schnee viel zu mächtig ist. Man muss sich entweder auf Skiern oder Schneeschuhen fortbewegen.

Dann steht allerdings einer Tour durch völlig menschenleere Pfade im Wald und auf den Hügeln nichts mehr im Wege. Ich muss zugeben, dass diese Wanderungen für mich völlig faszinierend und gruselig zugleich waren. Wenn es um 14Uhr langsam dunkel wird, der Schnee unter den Schuhen knirscht, die Zweige im Wald vor Kälte knacken und man weiß, dass in der einsamen Gegend nahe der russischen Grenze in meilenweitem Umkreis keine Straße, kein Haus und kein Mensch ist, fühlt man sich unsicher.

Die Versicherung meines finnischen Freundes, den Kompass voll im Griff zu haben, die Netzanzeige auf dem Handydisplay (das finnische Handynetz reicht bis die entlegendsten Winkel) und die Tatsache, dass sich die Bären um diese Jahreszeit im Winterschlaf befinden, beruhigte mich jedoch.

Für die anstrengenden Wanderungen wird man nicht nur mit der grandiosen Stimmung belohnt, auch die Rückkehr in die geheizte Hütte und der typisch finnische Saunagang lösen ein Wohlgefühl aus. Die kalten Finger und Zehen tauen auf und der heiße Dampf weckt die Lebensgeister.

Wenn man dazu vom Saunafenster aus noch einen Blick auf die zahlreichen Laternchen mit Kerzen hat, die außerhalb der Hütte den Schnee erhellen und glitzern lassen, ist der Ausklang des Tages perfekt! Nahezu jedes finnische Haus hat im Winter Laternen vor der Tür oder an der Hauseinfahrt stehen, um die dunkle Jahreszeit ein wenig zu erhellen.

Der Winterurlaub in Lappland gehört zu meinen liebsten Erlebnissen, die ich nie vergessen werde. Und ausnahmsweise bereue ich nicht, die Kamera nicht immer griffbereit gehabt zu haben. Nehme ich sonst meine Ausrüstung fast immer mit, in der Angst, ein tolles Motiv zu verpassen, hat sich die Stimmung im eisigen Norden Finnlands so intensiv in meine Erinnerung eingebrannt, dass Fotos das Gefühl wohl unmöglich wiedergeben könnten.

Ein weiterer Urlaub in Lappland ist bereits auf meiner Wunschliste, dann vielleicht im Herbst, wenn die Landschaft nach Aussage meiner finnischen Freunde in den unglaublichsten Herbstfarben erstrahlt.