22. September 2011 Lesezeit: ~5 Minuten

Eine alternde Stadt: Budapest.


Bilder von Marcel, Links: Alte Markthalle in Elisabeth-Stadt. Rechts: Cafe Central, ehemaliges Literaturcafe mit wunderschöner Inneneinrichtung.

Meine ersten Erinnerungen an Budapest stammen aus Bildbänden meiner Eltern. Großflächige Schwarzweiß-Fotografien, die Menschen auf Straßen und Plätzen zeigten, mit Licht und Schattenspielen auf dem grauen Asphalt. Es waren Fotografien von Bruno Bourel, ein namhafter Budapester Fotografen, die jenes melancholische Bild dieser Stadt in mir formten.

Es waren immer die Weite und das Alte, das mich damals schon daran faszinierte. Eine Stadt, deren sichtbares Altern und Alterndürfen von Gebäuden, Straßen und Menschen festgehalten wurde. Diese Stadt wollte ich nun zusammen mit meinem Freund entdecken. Die schummrigen Bilder im Kopf Wirklichkeit werden lassen und das Gefühl, das die Fotografien in mir auslösten, finden.


Bild von Marit, die heimlichen Besitzer der Stadt – Tauben.

Gefunden haben wir dieses Gefühl vor allem in Elisabeth-Stadt, dem jüdischen Viertel von Budapest. Wir haben uns zwei Tage dafür Zeit genommen, sind geschlendert, haben uns treiben lassen und sind von Ort zu Ort gekommen.

Haben im Vorbeigehen Gesprächen zwischen deutschen Nonnen und Jiddisch sprechenden Rabbinern gelauscht, sind dem Schatten eines alten Mannes gefolgt, haben unsere Nase an alten, verwunschenen, geschnörkelten Jugendstilzäunen plattgedrückt, haben wehende Gardinen betrachtet.

Den darum herum bröckelnden Putz der alten Gebäude bewundert, danach die Nase in die alte Markthalle gesteckt und kamen aus dem Staunen nicht raus ob all der angebotenen Gemüsesorten, Backwaren und Fleischberge, die einen ganzen Stadtteil versorgen.


Bild von Marcel, Elisabeth-Stadt.

Wir haben die neueste Mode an schlanken Frauenkörpern bewundert und auf der anderen Seite die rostroten Pfützen und darin badenden Tauben betrachtet. Wir waren erstaunt über Busse, die an Oberleitungen hingen und sich wie Schlangen durch die engen Straßen wanden.

Wir fanden Melancholie in den Hinterhöfen und Armut auf den Treppen der Mietshäuser. Wir waren inmitten der Bilder von Bruno Bourel, der das jüdische Leben seiner Zeit festgehalten hat. Plötzlich war uns, als wären auch wir Teil einer Geschichte, Teil eines Bildes, einer Erinnerung.

Aber wir wollten nicht nur selbst eine Erinnerung sein, sondern auch Erinnerungen in Form von Bildern mitbringen. Im Gepäck hatten wir unsere Kameras, jeder eine Canon A-1 und zahlreiche Schwarzweiß-Filme von ISO 50 bis 400.

Der heiße und sonnendurchflutete Budapester Sommer machte die im Kopf sitzenden Aufnahmen schwer auffindbar. Aber dennoch haben wir hier und da die stillen Bilder finden und mitnehmen können.


Bild von Marcel

Zu meinen beiden Lieblingsmotiven gehört zum einen ein Foto, welches eine an einer Pfütze trinkenden Taube und dem gegenüber, fast nicht sichtbar, die Beine eines schlafenden Menschen auf der Treppe eines Mietshauses zeigt. Das Bild ist leise, ohne Anklage, und ich schaue es ebenso lange an wie früher die Aufnahmen von Bruno Bourel, der ebenso Momente festhielt, die damals niemandem ein Foto wert waren.

Das andere Bild zeigt mehrere Tauben in einem leeren Korb. Ich erinnere mich, wie ich auf dem Hof der Markthalle plötzlich Gurren und Flügelschlagen hörte und versteckt unter einem Tisch Tauben in einem Korb fand. Zuerst dachte ich, man verkaufe hier auch lebende Tiere, aber als ich mich an das Bild gewöhnte und beobachtete, sah ich, dass es die Körbe eines Bäckers waren, der seine Waren auf dem Tisch darüber feil bot, und dass die Tauben lediglich das übrig Gebliebene aufpickten.

Wenn ich das Bild betrachte, sehe ich auch all die anderen Bilder vor mir, die aufzunehmen ich mich nicht traute. Alte Frauen mit tiefen Furchen im Gesicht, Männer, die lachen und rauchen, Kinder, die sich die Nase an der Scheibe der Backwaren platt drücken und das Bild der Zigeunerin, die uns verängstigt den Weg zur Markthalle zeigte.


Bild von Marit. Tauben in der Markthalle.

Ein Ort, an dem wir uns auch sehr gerne aufgehalten haben, ist das Café Central am Ferenciek tere in einer kleinen Gasse nahe der Donau. Früher bekannt als Literatencafé, trifft man auch heute in den hinteren Ecken noch Zigarren rauchende Intellektuelle gut getrennt von den an weitläufigen Tischen schlemmenden Touristengruppen.

Hier haben wir nicht nur einen guten Kaffee getrunken, sondern auch die wunderbare Inneneinrichtung bewundert. Ein empfehlenswerter Ort, um Auszuruhen und schöne Fotos mit nach Hause zu bringen.


Bild von Marit. Eingangsbereich im Haus der ungarischen Fotografie (Mai Mano) mit zahlreichen Ausstellungen und einem kleinen Shop.

Im Haus der ungarischen Fotografie fanden wir dann weitere Bilder der Stadt und der Menschen. Es ist ein Ort mit wechselnden Ausstellungen und einem schönen kleinen Laden mit Fotobänden und Fotografien ungarischer Fotografen.

Hier konnten wir das Lebensgefühl der Stadt noch einmal in Bildern Revue passieren lassen und ganz nebenbei ein sehr schönes Gebäude von innen betrachten, das früher das Atelier des Hoffotografen Manó Mai war.


Bild von Marcel

Wir haben viel gesehen, alte Bilder gefunden und Neues entdeckt. Budapest ist eine lebendige und hier und da auch schlafende Stadt. Sie ist voller Gegensätze und interessanter Menschen. Wir wissen, es war nicht unser letzter Besuch. Der Winter dort wartet auf uns und mit ihm alte und nun auch neue Bilder, die wir im Kopf herumtragen.