04. September 2011 Lesezeit: ~9 Minuten

Im Gespräch mit Calin Kruse

Vor einer Weile habe ich hier das Magazin „dienacht“ von Calin Kruse vorgestellt. In seinem Shop entdeckte ich bald noch mehr kleine Foto- und Kunstmagazine, teilweise in Kleinstauflagen von nur 100 Stück.

Neugierig, was es mit diesen Magazinen auf sich hat und warum sie so günstig verkauft werden, wendete ich mich an Calin, der sich auch in seiner Diplomarbeit mit Zines aller Art beschäftigt hat. Daraus entwickelte sich das folgende Interview, das jedem, der auf der Suche nach guten Kunstmagazinen ist, oder der selbst mit dem Gedanken spielt ein Fotozine zu erstellen, helfen soll.

Du hast dich in deiner Diplomarbeit Printed Papers mit Zines auseinandergesetzt. Wie bist du darauf gekommen?

Irgendwann im 2. Semester meines Grafik-Design-Studiums habe ich meine Semesterferien in Irland verbracht, und in Cork fand ich ein kostenloses Punk-Zine, in dem etwas über die Fanzine-Szene stand. Es ging hauptsächlich um die Anfänge und hauptsächlich um Punkzines, aber als ich zurückkam, hatte ich Lust, so etwas Ähnliches zu machen. Ich wusste nur, dass es Fußball- und Punkzines gibt. Ich wollte aber etwas machen, was mit Kunst zu tun hat. Zusammen mit einer Freundin habe ich die erste Ausgabe des Kunstzines „rough“ gemacht.


Es ging für mich darum, mich auszutoben, meine Gedanke auszukotzen, ohne viel darüber zu denken, was entstehen würde. Daher auch der Name „rough“ = einerseits schnelle Vorskizze, nichts Durchdachtes, und andererseits „rauh“. (Das Kunstzine war schnell fotokopiert und mit der Nähmaschine durchgenäht.) Es ging auch ums Experimentieren, ums Erkunden von Möglichkeiten. Die Auflage lag bei 50 Stück und wir haben sie für 80 Cent verkauft, also soviel wie es in der „Produktion“ gekostet hat, ohne dass die Arbeit, die wir damit hatten, eine Rolle spielt.

Ich dachte, wir wären die Ersten, die ein Kunstzine gemacht hatten, ich kannte sonst nichts. Ich wusste auch nicht, wie wir das nennen sollen. Jedenfalls fand ich irgendwann eine deutschsprachige Webseite, eine Art Verzeichnis für deutschsprachigen Zines, und dort gab es andere Kunstzines. Und wenn du dann anfängst, weiter und gezielt danach zu suchen, wirst du von der Masse der Zines überwältigt.

Irgendwann war „rough“ nicht genug und fing an „dienacht“ zu machen und lernte dadurch, dass ich darin andere Zines vorgestellt habe, (es ging nicht darum, welche zu rezensieren, sondern wirklich nur darum, zu zeigen, was ich gut finde und warum) die ganze Szene, diese Subkultur ein bisschen besser kennen, und alles was damit zusammenhängt. Und um sich wirklich damit beschäftigen zu können, war eine Diplomarbeit eine gute Möglichkeit.

Was behandelt deine Diplomarbeit genau?

Es geht um die „Szene“: um Zines, um Vertriebsmöglichkeiten dafür (da die Zines nie einen richtigen Vertrieb, aber trotzdem Wege haben, um sich zu verbreiten), um Zinefestivals und -Symposien, um Finanzierung, um die Motivation – im Prinzip um alles, was damit zusammenhängt. Ich habe Interviews geführt und selbst viel geschrieben, viele Infos gesammelt, sehr viele Magazinmacher angeschrieben. Am Ende des Buches gibt es eine kleine Übersicht mit etwa 120 Magazine, deren Macher mir Bilder und Infos zur Verfügung gestellt haben.

Gibt es dein erstes Zine noch?

Von „rough“ sind noch drei weitere Ausgaben erschienen, immer mit einem Freund / einer Freundin und immer in verschiedenen, immer aufwändigeren Aufmachungen, die aber denselben Format (etwa DIN A6) hatten und 80 Cent kosteten. Und „dienacht“ gibt es bis heute, demnächst erscheint die 10. Ausgabe.

Unter einem Magazin kann sich sicher jeder etwas vorstellen, aber was genau ist ein Zine?

„Zine“ ist eine Abkürzung von „Fanzine“, und Fanzine bedeutet so etwas wie ein Magazin von Fans für Fans. Sie verfolgen meistens keine kommerziellen Ziele, sie werden also gemacht, um sie zum Selbstkostenpreis zu verkaufen. Alles fing in England mit den Punkzines an, es gab auch viele Fantasy- und Fußballzines. Inzwischen gibt es Zines für fast alles (ich habe in „Printed Papers“ versucht, mich auf Kunstzines aller Kunstrichtungen zu beschränken). Am Anfang wurden die Zines mit der Schreibmaschine geschrieben und Schere und Kleber zusammengeschustert, und dann fotokopiert, weil es einfach die billigste Alternative war.

Schreibmaschine und Kleber klingt nach unglaublich viel Arbeit. Aber auch nach ganz viel Liebe zum Detail. Was rätst du jedem, der den Wunsch verspürt selbst ein Zine zu erstellen?

Schreibmaschine und Kleber waren am Anfang, das war eben die billigste Art, so etwas herzustellen. Das hatte auch wenig mit liebevoll zu tun, ich denke, das war einfach das Praktischste vor dem Computerzeitalter. Es gibt auch andere Möglichkeiten, etwas exklusiv und limitiert aussehen zu lassen (die wohl am meisten verbreitet ist die Nummerierung).

Ich habe keine Ratschläge; die Zines entstehen meistens aus einer inneren Notwendigkeit heraus, sowohl inhaltlich, als auch formell. Fanzines werden von Leuten gemacht, die etwas sagen möchten, auch wenn niemand hören will; das ist zumindest die ursprüngliche Idee, ich gebe zu, heute hat das Machen auch ein bisschen mit Image und Selbstvermarktung zu tun.


Du hast schon erwähnt, dass du dich mit Vertriebsmöglichkeiten für Zines auseinandergesetzt hast. Wohin kann man sich mit seinem fertigen Zine wenden?

Je nachdem, in welche Richtung die Fanzines gehen: Rock und Punk, Prosa und Lyrik werden auch in Deutschland von z.B. Erode Releases vertrieben. Für Kunstzines und Magazine in Kleinauflage entsteht ein Laden nach dem anderen, die bekanntesten in Deutschland sind Pro QM, Motto und do you read me?! in Berlin. Vor allem in den USA gibt es jede Menge Distros (Vertiebe für Fanzines). Eine (kleine) Zusammenstellung gibt es auf meiner Diplom-Webseite.

Wie viele Kunst- / Fotozines sind im Moment „auf dem Markt“?

Viele. :) Wenn ich nicht alle, die ich gut finde, kaufen kann, sammle ich die Links, und es sind schon einige Tausende. Inzwischen machen sehr viele Künstler – auch dadurch, dass man jetzt die Zines günstig produzieren kann – eigene Zines. Das Problem ist, dass man eigentlich gar nicht mehr zwischen Zines und Magazine differenzieren kann, der Unterschied liegt vielleicht in der Ursprungsidee und Hintergrund. Steckt ein Verlag oder ein Konzern dahinter oder Kunstliebhaber? Wird damit Geld verdient?

Ich würde mein Magazin „dienacht“ als Zine bezeichnen, weil ich das allein mache, kein richtiger Vertrieb habe und das auch nicht haben möchte und kein Geld damit verdiene. Andere würden wahrscheinlich sagen, es ist ein Magazin, weil die Auflage bei 1000-1500 liegt (die aber immer noch einzeln nummeriert wird), weil es aufwendig hergestellt wird und teilweise bekannte Künstler darin vorgestellt werden (die aber auch kein Geld für die Veröffentlichung bekommen). Ich denke, wenn’s nur ums Machen oder um die Liebhaberei geht, ist es ein Zine.

Kannst du ein paar besondere Zines empfehlen?

Wenn ich nur ein paar Zines hervor heben würde, würde ich vielen Unrecht tun, weil sie genauso gut sind; aber hier sind die Ersten, die mir in den Sinn kommen, weil aktuell: „Romka“ eigentlich ein Online-Magazine, aber die erste Papierausgabe ist draußen und besticht durch die Ehrlichkeit; Vidvinkel, ein tolles Fotomagazin aus Schweden, leider ein bisschen schwer zu bekommen. Private ist ein Reportage-Fotomagazin aus Italien, GUP ein Magazin für künstlerische Fotografie aus den Niederlanden… ich kann wirklich nichts Spezielles empfehlen, es gibt so viele. Viele Zines, die ich persönlich mag, vertreibe ich auch im „dienacht“-Shop.

Kannst du dir vorstellen in Zukunft noch ein anderes Zine zu machen? Oder glaubst du, dass dir „dienacht“ irgendwann nicht mehr reicht, sodass du wieder etwas Neues versuchst?

„dienacht“ macht schon Spaß, weil es eben über das Magazinformat hinaus geht (es gibt „dienacht“ Ausstellungen, Messestände, Vorträge, …). Ich habe jetzt zusätzlich ein Label für Künstlerbücher und Magazine, „Die rote Trude“; darin stelle ich Künstler vor, die ich mag, und es ist geplant ein Die rote Trude Magazin zu machen. Es gibt nur eine Vorgabe, das Format (13 x 18 cm hoch oder quer), sonst ist die Aufmachung völlig frei – sowohl die Gestaltung als auch das Papier, die Bindung, … Um auf eine Frage zurück zu kommen: Im Prinzip ist jedes „Trude“-Heft wie ein neues Zine, ich kann mich damit austoben. „Dienacht“ ist ein persönlicher Fixpunkt, „Die rote Trude“ ist eine Spielwiese.

Ich wünsche die dabei auch weiterhin viel Spaß. Vielen Dank für das Interview.

Ähnliche Artikel