21. August 2011 Lesezeit: ~8 Minuten

Im Gespräch mit Peter Gesierich

Ich habe Peter Gesierich vor einiger Zeit über flickr kennengelernt. Seine Arbeiten haben mich von Anfang an fasziniert. Wenn ich seine Fotografien betrachte, habe ich den Eindruck, er scheine seinen Geist stets für den entscheidenden Augenblick anzuspitzen.

Seine Bilder zeigen aufrichtige Momente in einer Mischung bizarren Humors und einem Quäntchen Melancholie. Um mehr über den Autor dieser Bilder zu erfahren, habe ich ihn um ein Interview gebeten.

Hi Peter, schön, dass ich dich für ein Interview gewinnen konnte. Erzähl uns doch zuerst einmal etwas über dich.

Ich komme ursprünglich aus der ehemaligen Tschechoslowakei. Dort habe ich Grafik-Design und Fotografie studiert, bevor ich vor über zwanzig Jahren nach Deutschland kam. Seit zwei Jahren lebe ich in Berlin.

Warum fotografierst du?

Es ist eine Art geistiger Befriedigung. Ich habe zwar weder unbedingt das Bedürfnis etwas festzuhalten, noch eine genaue Vorstellung vom Ergebnis. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass ich ein spezielles Gespür fürs Visuelle habe.

Das klingt spannend. Wann war der Zeitpunkt, an dem du das zum ersten Mal bewusst wahrgenommen hast?

Entdeckt habe ich das als ich 13 war. Da habe ich mein erstes bewusstes Foto gemacht.

Früh übt sich. Was war das für ein Foto und warum hattest du das Bedürfnis, es festzuhalten?

Es war auf einem Feld, wo eine uralte landwirtschaftliche Maschine stand. Es stimmte in dieser Situation einfach alles – die Atmosphäre, das Licht, die Komposition – wie ein Kunstwerk.

Hast du dieses Bild noch?

Leider nicht. Es wurde wie viele andere meiner Negative von der tschechischen Staatssicherheit beschlagnahmt. Sie hatten mich andauernd im Visier. Ende der 80er Jahre bin ich dann in den Westen geflüchtet. Danach haben sie meine Wohnung komplett leer geräumt. Nur wenige Bilder aus der Zeit, die überlebt haben, sind in Besitz von Freunden.

Krass, ich kann mir vorstellen, dass solch eine Erfahrung sehr stark prägt. Wie war das damals, als du nach Deutschland kamst?

Es war der 11. Dezember 1987. Das weiß ich immer noch ganz genau. Im Grunde mein zweiter Geburtstag. Von da an war für mich alles anders, vergleichbar mit einem Quantensprung in eine grenzenlose Freiheit.

Kann ich mir vorstellen.

Ganz grenzenlos war es natürlich auch nicht, denn ich durfte nicht mehr zurück. Vorher in der Tschechei schien der Westen unerreichbar zu sein, nun war ich im Westen „gefangen“.

Wie bist du dein neues Leben angegangen? Hast du damals fotografiert?

Kaum. Ich hatte zwar eine uralte Kleinbildkamera von Kodak, aber damit habe ich nur geknipst. Dann hat sie den Geist aufgegeben. Für eine neue Kamera war einfach das Geld nicht da.

Als ich dann anfing, als Grafiker zu arbeiten, war das Interesse am Fotografieren in den Hintergrund geraten. Später habe ich mich mit einer Werbeagentur und einem kleinen Verlag selbständig gemacht.

Nach der Wende, als ich wieder in die Tschechei durfte, habe ich eine alte Flexaret (Mittelformat) von zu Hause geholt. Die habe ich allerdings nur berufsbezogen genutzt. Jedenfalls war das für mich der Auslöser, mich erneut ernsthaft mit der Fotografie zu beschäftigen.

Ist das Fotografieren für deine Kunden etwas anderes als das private?

Also die Aufträge sind eine Geldquelle und das ist mit der privaten Fotografie nicht zu vergleichen. Vor etwa 5 Jahren habe ich da nochmal einen Schub bekommen …

… so was wie eine Berufung zur Fotografie?

Genau.

Man sieht es in deinen Bildern: Dein Herz schlägt für die Straße, oder?

Absolut. Früher in der Tschechei habe ich fast nur Street Photography gemacht. Das mache ich jetzt auch wieder. Ich mag die Straße und ihre Momente. Einen Sekundenbruchteil, eine bestimmte Lichtsituation, einen einzigartigen Moment einzufangen, dafür lebe ich.

Betrachtest du dich dabei auch ein bisschen als Jäger?

So habe ich mich nie betrachtet, aber ja vielleicht. Grundsätzlich nehme ich mir nie vor „ich gehe jetzt fotografieren“. Wenn ich unterwegs bin, habe ich die Kamera sowieso immer dabei. Sie ist ein Teil von mir geworden.

Was ist wichtig, um ein gutes Straßenfoto zu machen?

Was definiert ein Straßenfoto eigentlich? Ich denke, wichtig ist, aufmerksam zu sein und möglichst immer bereit, in jeder Situation ein Straßenfoto machen zu können.

Du bist also permanent am Beobachten.

So ist das. Mit der Zeit lernt man, Situationen vorauszuahnen um schnell reagieren zu können.

… um “den entscheidenden Moment” einzufangen, wie Cartier-Bresson ihn manifestiert hat.

Ja. Aber solche Namen sind mir dabei nicht wichtig. Ich habe diesbezüglich keinen Anspruch.

Gibt es dennoch Fotografen, die dich für deine Sache inspirieren?

Es gibt Street-Fotografen, deren Arbeit ich mag. Als eine Inspiration würde ich das nicht bezeichnen. Das soll aber nicht arrogant klingen. Ich respektiere ihre Arbeiten und ich schaue sie mir gerne an.

Kannst du jemand nennen?

Zum Beispiel Gerd Danigel aus Berlin. Seine Fotos aus DDR-Zeiten wirken so unbefangen, sauber und ehrlich. Man merkt, dass sie nicht krampfhaft mehr sein wollen als sie sind. Diese Aufrichtigkeit schätze ich sehr. Manche Fotografen wollen mit ihren Bildern nur ihr eigenes Ego in den Vordergrund bringen; bei ihm ist das nicht so.

Außerdem mag ich die Arbeiten von Viktor Kolář. Ich schätze seine klare Bildsprache sehr … man spürt diese besondere Schwingung dabei. Seine Bilder zeigen etwas, das ich auch verspüre, wenn ich auf der Straße fotografiere.

Was ist das, was du da verspürst? Zufriedenheit? Vergnügen?

Mehr als das. Es fühlt sich manchmal wie ein fotografisches Nirwana an.

Wow, was für eine Aussage! Danke dafür. Nun würde ich gern noch von dir wissen, ob du mit spezieller Ausrüstung arbeitest und wenn ja, warum.

Die Technik ist wichtig, sollte aber kein Teil der Kunst sein. Zum Beispiel betrachte ich etwas, das mit Polaroid fotografiert wurde nicht zwingend als Kunst, weil es mit Polaroid fotografiert wurde. Ich mag Kunst nicht, die sich nur auf ein bestimmtes Werkzeug fokussiert.

Mir selbst ist es schon wichtig, gutes Werkzeug zu benutzen, der Name oder die Marke ist aber egal. Ich versuche zu nutzen, was ich zur Verfügung habe und versuche einfach die Möglichkeiten auszureizen.

Glaubst du, du könntest mit jeder Kamera fotografieren?

Das weiß ich nicht, ich habe viele Kameras noch gar nicht in der Hand gehabt. Es dürfte aber interessant sein, solche ‚unbekannten‘ Welten zu entdecken.

Und mit welchem Medium arbeitest du? Digital? Analog?

Beides. Ich habe keine Vorliebe oder Vorurteile. Ich mag nicht besonders, wenn jemand das eine oder andere hervorhebt, wie bei Mac oder Windows. Ich habe einen Mac, aber wenn nötig, würde ich auch mit Windows klar kommen. Nichtsdestotrotz möchte ich mit der besten Optik arbeiten, die ich bekommen kann. Es hängt aber hauptsächlich damit zusammen, dass ich überwiegend bei wenig Licht fotografiere. Da ist ein lichtstarkes Objektiv ein Muss.

Ich kenne Fotografen, die die teuerste Technik haben; ich habe aber das Gefühl, dass der Grund dafür ein anderer ist, als damit ein bestimmtes Foto zu schaffen. Es funktioniert aber auch umgekehrt. Manchmal bin ich verblüfft von Ergebnissen, die man mit alter oder in ihrer Bedienung schwieriger Technik erzielen kann. Es ist eine interessante Herausforderung, trotz solcher Einschränkungen ein gutes Bild zu schaffen.

Ja, das sehe ich ähnlich. Wo soll’s für dich fotografisch noch hingehen? Hast du etwas Bestimmtes vor?

Das ist der Punkt: Ich plane nie etwas Bestimmtes. Ich hoffe nur, öfters Gelegenheiten zu bekommen, mit denen ich mich fotografisch beglücken kann.

Peter, danke für dieses Interview.

Das Interview wurde auf einem Rummel in Berlin während einer Karusselfahrt aufgenommen.

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